ayascythe: Pink Reaper (Iron Man ARC reactor)
[personal profile] ayascythe
Autor: [livejournal.com profile] ayascythe
Fandom: The Avengers (MCU)
Pairing: Steve Rogers/Tony Stark
Rating: R (NC-17 für das letzte Kapitel)
Language: Deutsch/German
Wortanzahl: 45.242
Einstufungen/Warnungen: Mystery, Drama, Angst, Slash
Beta: [livejournal.com profile] 3ngel
Disclaimer: Das Avengers-Universum gehört Marvel und jegliches Copyright liegt bei ihnen. Ich habe mir lediglich die Charaktere ausgeliehen, um ein bisschen mit ihnen zu spielen. Ich mache hiermit kein Geld.

Prolog | Kapitel 1: Wahrscheinlichkeiten | Kapitel 2: Finsternis | Kapitel 3: Schlaflos | Kapitel 4: Vertigo | Kapitel 5: Stille | Kapitel 6: Sturm | Kapitel 7: Narben | Epilog

AO3 | FF.de
Fanart-Masterpost von [livejournal.com profile] sweetestremedy: LJ | AO3


Kapitel 6: Sturm

O Käpt’n, mein Käpt’n, zu End’ ist unsre Reis’
wir haben jedes Riff umschifft, der Sieg war unser Preis.
Am Kai entlang der Glockenklang, der Menge Lustgespinster;
das Auge folgt dem festen Kiel, der Barke, wild und finster.
O Herz, o mein Herze!
O Tropfen feucht und rot,
wo auf dem Deck mein Käpt’n liegt,
gefallen, kalt und tot.

- O Captain My Captain, Walt Whitman


Der Morgen graute bereits am Horizont, als die Avengers versammelt und in voller Montur vom Dach des Stark Towers abhoben, während Tony in seiner Rüstung vorausflog. Es war der Jungfernflug des Quinjets und Tony bemerkte mit einem Anflug von Stolz, dass der Jet die letzten Probleme wie Flugunsicherheiten und eigenwillige Computersysteme nicht mehr aufwies. Er hatte es satt gehabt, auf SHIELDs klapprige Flieger angewiesen zu sein.

"Der Stromausfall ist keine 20 Minuten her", sagte Bruce über die Interkom-Leitung. "Er kann nicht weit sein."

"Das wohl", brummte Thor. "Jedoch braucht mein Bruder weitaus weniger Zeit, um Unheil zu stiften."

Insgeheim musste Tony zustimmen. Er hatte zwar keine Ahnung, was Loki vorhatte, oder wohin er wollte, ganz zu schweigen ohne Verbündete. Er hatte aber eine ziemlich gute Idee, wie sie ihn finden konnten: Lokis Signatur war ein magisches Leuchtfeuer, das zumindest auf kurze Distanzen leicht zu erfassen war. Sie mussten nichts weiter tun, als ihm zu folgen.

"Cap, denkst du es ist eine gute Idee, dass du schon wieder im Einsatz bist?", fragte er über eine separate Leitung, während er den anderen den Weg wies.

Das leise, tiefe in sich Hineinlachen, das von Cap kam, stellte Dinge mit Tony an. "Glaub mir, Tony, ich habe schon unter weitaus schlimmeren Bedingungen gekämpft."

Loki schien sich nordöstlich des Stark Towers im Central Park abgesetzt zu haben, eigentlich zu nahe, um wirklich als Versteck zu dienen. Zumindest war dort jede Menge Grünfläche und die Uhrzeit garantierte, dass nicht allzu viele Zivilisten unterwegs waren. Nicht, dass Tony mit einem Kampf rechnete - außer der Tatsache, dass er absolut mit einem Kampf rechnete. Immerhin ging es hier um Loki.

Dieser stand mit hinter dem Rücken verschränkten Armen am Lake, als sie den Quinjet landeten. Loki schien die Dunstschwaden über der Wasseroberfläche zu beobachten. Gelegentlich tänzelte die Wasseroberfläche auf eine Weise, die ganz und gar nicht natürlich wirkte und sehr wahrscheinlich durch eine magische Beeinflussung seitens Loki zustande kam.

"Loki!"

Der Lügengott drehte sich nicht sofort um, doch seine Haltung verriet, dass er Thors Rufen durchaus wahrgenommen hatte. Erst nach einigen Augenblicken, die Tony in der morgendlichen Stille ungewöhnlich lang vorkamen, ließ Loki sich dazu herab zu antworten.

"Seid ihr gekommen, um mich wieder einzusperren?"

"Du weißt, dass wir dir kein freies Geleit durch Midgard gewähren können, Bruder. Das musste ich Odin versprechen. Mehr noch, das sind wir den Menschen schuldig, nach dem, was du angerichtet hast."

Lokis Blick zuckte zu den Baukränen in nicht großer Entfernung, zu den Hochhäusern, die selbst Monate nach dem Chitauri-Angriff noch immer ihre Schäden offen zur Schau trugen. Tony konnte nicht sagen, was da in Loki vorging. Es war keine Reue, aber vielleicht eine Art Bedauern.

"Ich habe nie nach eurer Einmischung verlangt", sagte er schließlich vage. "Die Dinge wären sonst anders verlaufen."

"Ja, und wir wären alle tot, oder in Ketten", meinte Natasha trocken.

Thor machte einen Schritt auf seinen Bruder zu. "Loki, niemand wünscht dir zu schaden," - Tony verkniff sich den Blick hinüber zu Clint - ", aber du musst jetzt mit uns kommen."

"Wozu? Damit ich weiterhin so gastlich von euch behandelt werden kann?" Loki tat einen Augenblick so, als würde er darüber nachdenken. "Nein. Ich denke, ich verzichte."

"Komm mit uns", ergriff nun auch Steve das Wort und strecke Loki die Hand entgegen. Die Geste schien Loki aus irgendeinem Grund besonders zu amüsieren.

"Oh nein. So leicht werde ich es dir nicht machen. Zuerst will ich ein bisschen Spaß."

Die Wortwahl erschien Tony seltsam – "dir"? –, doch in dem Moment tat Steve einen Schritt nach vorne. Sein Blick wurde eindringlicher. "Denk an das, was du versprochen hast."

"Oh, aber wusstest du das nicht, Captain? Ich lüge."

Loki vollführte eine schnelle, kaum mit den Augen nachvollziehbare Handbewegung und ein langer Stab erschien in seiner Hand. Thor wählte genau diesen Moment, in seine Richtung zu springen. Vielleicht hatte er die Hoffnung, seinen Bruder zu überwältigen. In der Theorie wäre ihm das wohl auch gelungen, wenn er nicht direkt durch ihn hindurch gesprungen wäre.

Der Lügengott erschien zwei Meter links von ihnen, lachte auf und schlug mit dem Fuß des Zauberstabes zweimal auf den Boden. Um sie herum erschien eine kleine Armee aus weiteren Lokis, alle identisch, von Kopf bis Fuß. Es war das erste Mal, dass Tony diese Art Magie gesehen hatte, aber er hatte genug davon gehört. Illusionen. Lokis ältester, wirkungsvollster Trick.

"Du wirst es nie lernen, oder?", lachte der Schemen - alle Schemen zur gleichen Zeit, während Thor sich wütend umdrehte.

"Loki-" Steve machte einen weiteren Schritt auf den Lügengott zu. Vielleicht wollte er ihn beschwichtigen oder verhandeln, doch er bekam nicht die Chance dazu. Clint legte einen Pfeil ein und spannte die Sehne seines Bogens.

"Du glaubst doch nicht im Ernst, dass deine Illusionen uns aufhalten können?"

"Mag sein. Aber das hier kann es."

Lokis Lächeln war von der Marke Wahnsinn Deluxe. Wenn das schon kein Warnzeichen war, dann das giftgrüne Leuchten an der Spitze des Zauberstabes. Das Wasser des Lakes begann Wellen zu schlagen und zu Blubbern, als würde es kochen, und keinen Moment später explodierte eine Fontäne aus Wasser heraus. Halt, nein. Das war keine Fontäne – es war eine gewaltige, 500 Meter lange Säule, deren Ende verdächtig nach einem Kopf aussah. Eine verdammte Wasserschlange, die sich über die Bäume des Central Parks schlängelte. Sie ließ einen markerschütternden, echsenartigen Schrei los, der Tony an Drachen denken ließ.

"Oh Gott, ich hasse Magie."

Als er sich umsah, war Bruce bereits grün, groß und verdammt sauer. Der Große stürzte sich auf die Schlange, noch bevor er Befehle empfangen konnte. Seine Faust ging direkt durch das Wasser hindurch und er brüllte wütend auf.

"Versucht den Kampf im Park zu halten!", rief Steve dem Rest zu, während er den Schild vom Rücken zog und an den Arm schnallte.

Die Schlange kreischte auf und raste in Richtung Midtown. Der Hulk sprang ihr mit einem gewaltigen Satz hinterher. Überall um sie herum schossen die Loki-Duplikate in die Luft, alle absolut identische, grün-schwarze Schemen, alle hielten auf eine andere Himmelsrichtung zu. Sie bewegten sich zu schnell und ihre Signatur war zu schwammig, als dass Tonys Sensoren sie tatsächlich hätte erfassen können. So viel dazu, den Kampf im Park zu halten.

"Finde mich – wenn du kannst." Lokis Stimme kam von überall und nirgendwo her. Und wieder dieses "du". War es für Thor bestimmt? Eine persönliche Herausforderung unter Brüdern? Tony wünschte, er wüsste, warum es so an ihm nagte.

Da die Schlange im Augenblick ein akuteres Problem darstellte, ignorierten sie Lokis Trugbilder fürs erste und setzten dem Wassermonster hinterher. Tony flog voraus, dicht hinter der Schlange her, um im Notfall eingreifen zu können, wenn sie nichtsahnende Zivilisten oder Autos niedermähte.

"JARVIS, irgendwelche Schwachstellen?"

//Der Körper besteht zu 98,54 Prozent aus Wasser und zu 1,46 Prozent aus Verunreinigungen.//

"Was du nicht sagst."

Er beschleunigte, um am Körper der Schlange entlang zu fliegen und war ungewollt beeindruckt - das Mistding war wirklich, wirklich groß. Aus den Augenwinkeln konnte er einen grünen Schatten herannahen sehen.

"Bruce, warte!", wollte er rufen, doch der Hulk hörte schon längst nicht mehr auf ihn. Noch im Laufen sprang er mehrere Meter in die Höhe und streckte die Arme nach dem Körper der Schlange aus, nur um direkt hindurchzugreifen. Trotzdem hörte er nicht auf, sprang, hämmerte immer weiter mit seinen Fäusten auf sie ein, bis sie langsamer wurde. Sie wand sich zuckend in der Luft, richtete ihren gigantischen Kopf neu aus und schien die herannahenden Avengers mit ihrem wässrigen Auge böse anzustarren.

Wunderbar. Immerhin hatten sie jetzt ihre Aufmerksamkeit.

Unten auf der Straße kamen Steve und Natasha angerannt. Dabei riefen sie immer wieder Leuten zu, die um diese Zeit bereits unterwegs waren – Postboten, Jogger, Taxifahrer, Pendler –, bedeuteten ihnen umzukehren oder gaben Anweisungen wie sie sich in Sicherheit bringen konnten.

Über Tony raste Thor mit Mjölnir in einer Hand und Clint im anderen Arm vorbei. Er setzte den Bogenschützen auf dem Vorsprung eines Wohnblocks ab und rief angewidert: "Schlangen-Gezücht!"

Dann begann er, seinen Hammer in der Luft zu wirbeln, bis sich dunkle Wolken über ihnen zusammen brauten. Ein Blitzschlag löste sich, traf die Schlange am Kopf. Kleine, weißleuchtende Blitze tanzten über ihren gesamten Körper und das Kreischen, das sie von sich gab, wertete Tony als Schmerzenslaut. Jetzt ist sie sauer.

Die Schlange brüllte auf und fing an zu glühen. Dächer erzitterten, Risse bildeten sich im Asphalt der Straße. Und dann fing die Stadt an auseinander zu fallen. Der Boden riss auf und Rohrleitungen peitschten wie lange Tentakel aus dem Boden. Tony konnte sehen, wie Steve und Natasha sich mit einem Hechtsprung über eine Autohaube in Sicherheit bringen konnten, bevor sie in das klaffende Loch in der Straße gerissen werden konnten.

Ein riesiges Etwas schoss von hinten an Tony vorbei. Er verdankte es nur seinen Sensoren und JARVIS' Warnung, dass er rechtzeitig ausweichen konnte. Als er sich umdrehte, konnte er sehen, dass es ein Wasserturm war. Und es war beileibe nicht der einzige: Dutzende Türme lösten sich kreischend und quietschend von ihren Verankerungen auf New Yorker Dächern und flogen zielstrebig auf die Schlange zu.

"Was zum …?", konnte er Natasha noch über die Leitung murmeln hören, dann sah er es auch.

Die Leitungen und Wassertürme fingen an, sich mit der Schlange zu verbinden. Die Teile, die groß genug waren, fügten sich nahtlos in den Körper ein und wurden von Wasser umschlossen. Andere legten sich um die Schlange wie ein überdimensionales Drahtgestell, eine gigantische Rüstung aus Metall, Holz und Plastik. Ein paar der Türme bekamen Risse, platzten auf und ließen brackiges Wasser auf die Straße niederregnen.

//Der Körper besteht jetzt zu 63 Prozent aus Wasser, die weiteren 37 Prozent setzen sich aus Aluminium, Holz, Zink, Stahl und diversen Kunststoffen zusammen//, verkündete JARVIS eine Spur selbstgefälliger. //Möchten Sie eine Aufstellung der genauen Zusammensetzung – Sir?//

Zumindest für dieses Mal sparte Tony sich die schnippische Antwort und flog tiefer. Was zur Hölle hatte Loki mit dieser Aktion vor?

Ein Brummen ging über das Interkom, ein leises, tiefes Geräusch, das Tony nicht orten konnte. Zuerst dachte er, dass die Magie in der Luft die Übertragung störte. Bis ihm klar wurde, dass Steve summte. Die Melodie kam Tony vage bekannt vor, doch er hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.

Lachen ertönte, mehrfach verstärkt und aus allen Richtungen. Offensichtlich war es Loki alleine zu langweilig gewesen, vielleicht brauchte er für seine Allüren auch nur mehr Publikum – Tatsache war, dass er sich zu ihrer kleinen Runde wieder hinzu gesellt hatte. Und mit ihm auch seine Doppelgänger, die jetzt anfingen zusätzliches Chaos zu stiften.

Inmitten all dieser Unruhe war Steve plötzlich stehen geblieben. Er sah sich aufmerksam um, summte leise vor sich hin und schien ... nach etwas Ausschau zu halten? Schließlich schien er es gefunden zu haben, denn er machte einen Schritt nach vorne – bis Natasha ihn am Arm griff.

"Cap, die Zivilisten!"

Einige der Lokis hatten sich dazu entschlossen eine Gruppe fliehender Fußgänger aufzuscheuchen. Steve fluchte (Tony stutzte – Cap und Fluchen?), warf noch einmal einen Blick über seine Schulter und folgte dann Black Widow.

Tony wollte den beiden schon zu Hilfe eilen, doch dann sah er, wie eine weitere Truppe Lokis von Dach zu Dach flimmerte und genau auf Clints Aussichtspunkt zuhielt. Cap und Widow würden schon zurecht kommen, aber Hawkeye brauchte jetzt Rückendeckung.

Noch im Flug feuerte er Streukörper auf die Schemen ab. Dann raste er selbst mitten durch sie hindurch, feuerte einen Repulsorstrahl nach dem anderen und – darauf war er besonders stolz – kickte einen der Lokis dabei schwungvoll vom Dach. Trotzdem zeigte sein Einsatz nur mäßigen Erfolg. Es war wie ein Kampf gegen die Hydra: Für jede Illusion, die Tony auslöschte, kamen zwei oder drei neue nach.

"Leute, habe ich schonmal erwähnt, dass ich Magie hasse?", rief Tony über das Interkom , als er sich wieder zurückzog, und erntete ein ungnädiges Schnauben von Clint.

"Was du nicht sagst!"

"Was ist eigentlich mit unseren Freunden vom Helicarrier? Ein bisschen Unterstützung wäre nicht schlecht!"

"SHIELD weiß Bescheid", kam es von Clint, zusammen mit dem Geräusch von mehreren Pfeilen, die abgefeuert wurden. "Sie sind unterwegs."

Und wieder summte Steves Stimme über die Leitung, wieder diese Melodie. Tony war sich inzwischen ziemlich sicher, dass es eine Oper sein musste, aber er kam einfach nicht dahinter welche. Es machte ihn wahnsinnig.

"JARVIS, spiel mal bitte SoundHound für mich. Die Melodie, die Cap da ständig summt - wie lautet der Titel?"

Der Schwanz der Schlange schlug nach ihm aus, doch Tony machte eine elegante Rolle darunter hindurch, bevor er auf der anderen Seite wieder nach oben schoss. JARVIS' Stimme mischte sich unter das Grollen von Metall und Wassermassen, die sich schwerfällig neu ausrichteten.

"Was?"

//... ich sagte: Götterdämmerung aus dem Ring des Nibelungen von Richard Wagner.//

Tonys Gedanken gingen in Leerlauf über. Über ihm wand sich die Schlange ein weiteres Mal. Er versuchte noch auszuweichen, doch seine Bewegungen fühlten sich zäh an und seine Gedanken hingen noch immer bei diesem einen Wort fest: Wagner. Er reagierte zu spät. Die Wucht des Schlages traf ihn an der Seite und schleuderte ihn mehrere Meter weit durch die Luft, bis er sich mit spuckenden Repulsoren in der Luft abfing. Seine Hände zitterten und er schlingerte bedrohlich in der Luft.

//Sir?//

Scheiße, scheiße, scheiße.

"Iron Man, alles klar?"

Tonys Kopf fuhr herum und da unten stand er: Steve in seiner Uniform, den Schild halb erhoben, falls unerwartet etwas angreifen sollte, und sah ihn fragend an. Bildete Tony es sich ein oder waren seine Augen unter der Maske schwarz?

Er nickte, nur um gleich darauf den Kopf zu schütteln. "Das ist echt das Letzte. Ich komme mir vor wie die Hobbits gegen die fette Riesenspinne."

Und dann sagte Steve etwas, das Tony bereits befürchtet hatte: "Wie was?"

"Ekelhafte Riesenspinne? Frodo, der weinerliche Hobbit? Sam, sein pummeliger-" Tony zögerte kurz, als ihm eine Idee kam, und er sagte: "Arzt?"

"Wenn du meinst", schnappte Steve irritiert zurück und wandte ihm den Rücken zu.

Tonys Herz setzte einen Schlag lang aus.

Es war nicht einfach nur eine verpasste Anspielung auf ein bisschen Popkultur. Ganz abgesehen davon, dass Sam der verdammte Gärtner war – Steve liebte diese Bücher. Er liebte sie so abgöttisch, dass er sogar von sich aus gefragt hatte, ob es eine Verfilmung gab. Seine Augen waren tellergroß gewesen, als er die Kulissen bestaunt hatte.

Steve war vielleicht nicht der Typ für humorvolles Geplänkel über das Interkom – aber ein solcher Fehler wäre ihm aufgefallen. Mehr noch: Wagner. Steve summte das Stück schon die ganze Zeit vor sich hin, und was das bedeutete, war leider eindeutig. Es war noch nicht vorbei.

Das darf doch einfach nicht wahr sein!

Schmidt musste sich ziemlich sicher fühlen, wenn er sich solch eine Blöße gab. Und dann war da noch Lokis Aufforderung: Finde mich.

Tonys Gedanken überschlugen sich. Schmidt suchte nach einer alternativen Energiequelle, doch mit Loki an seiner Seite brauchte er das gar nicht. Er brauchte weder den Tesserakt, noch den ARK-Reaktor. Was hatte er damals gesagt? "Es geht darum, wieder zu Göttern aufzusteigen." Mit wem konnte man dieses Ziel besser erreichen, als mit einem nordischen Gott höchstselbst?

Wut brauste in Tony auf. Wut und Hass auf Schmidt, auf Loki, der sie verarscht hatte, auf sich selbst, weil er es nicht durchschaut hatte. Das konnten sie nicht zulassen! Er musste die anderen warnen, er musste Schmidt aufhalten, er musste-

Er musste Steve aufhalten. Darauf lief es hinaus, oder nicht? Wenn Schmidt und Loki und gemeinsame Sache machten … Wenn Schmidt durch Lokis Magie Steves Körper übernommen hatte ... wie wahrscheinlich war es dann, dass Steve noch irgendwo da drin war? Sie hatten Steve doch schon so gut wie verloren.

Wahrscheinlichkeiten sind nicht fair.

Sein Magen zog sich zusammen und aus der Wut wurde etwas anderes. Ein Gefühl der Kälte, das durch seine Eingeweide kroch und ihm den Atem nahm. Das war er dann wohl: Plan B.

Tony lachte leise auf, ein trockener, bitterer Laut, der durch seine Kehle riss. Obwohl er immer wieder darauf gepocht hatte, ein Futurist zu sein, hatte er es nicht kommen sehen.

"Wo ist Loki?!", rief Steve durch das Interkom, während er sich unter einem Regen aus Staub und Trümmern wegduckte, als die Schlange an einem Apartmenthaus entlang schrammte.

Tony ließ die Scanner laufen und konnte mindestens sechs verschiedene Lokis ausmachen, aber er schenkte ihnen keine Beachtung. Der Schweiß rann ihm in Strömen die Stirn herunter. Trotzdem war ihm eiskalt. Wenn er nichts unternahm, war es nur eine Frage der Zeit bis Steve ihnen in den Rücken fallen würde. Nein, nicht Steve, musste er sich in Erinnerung rufen. Schmidt.

Er wusste, was er zu tun hatte, aber das machte es nicht leichter.

"Du bist der einzige, den ich darum bitten kann."

"Loki auf 8 Uhr!"

Er landete auf der Straße, deutete wahllos auf eine der Projektionen und weil Steve seinen Anweisungen inzwischen genauso blind folgte wie umgekehrt, drehte dieser sich in die Richtung. Der Schild wurde durch die Luft geschleudert, traf – und flog sauber durch die Gestalt hindurch. Irgendwo zwischen Schutt und Trümmern blieb er liegen.

"Das war der Falsche!" Die Worte gingen fast im Lärm einer weiteren Explosion unter, doch Tony hörte den Ärger, die Verwunderung über die Fehlinformation heraus.

Steve stand keine zwei Meter von ihm entfernt, ohne Schild und Deckung. Ahnungslos. Angreifbar. Nicht zum ersten Mal war Tony dankbar für die Gesichtsplatte, den Stimmenmodulator, all die Dinge die ihn von der Außenwelt abschirmten und es praktisch unmöglich machten ihn zu lesen.

"Ich habe Angst, Tony."

Ein Versuch. Danach würde Schmidt wissen, was er vorhatte. Er hatte einen Versuch und der musste sitzen. Ein leises Sirren ertönte, als er die Hand mit dem glühenden Repulsor erhob.

"Iron Man?"

Selbst unter der Maske konnte er Steves Verwirrung herauslesen, die langsam dämmernde Erkenntnis, dass etwas nicht stimmte. Und, oh, es war so einfach. Zu zielen, die Schwachstellen in Steves Rüstung zu lokalisieren, die richtige Menge an Energie zu berechnen, um seine Rüstung zu durchschlagen. Es war so erschreckend einfach, dass Tony sich fragte, warum es noch niemand vor ihm getan hatte. Dann fiel es ihm wieder ein: Den Bösewichten der Welt hatte allen ein entscheidender Vorteil gefehlt.

"... Tony?"

Steve vertraute Tony. Er vertraute darauf, dass Tony tat, was getan werden musste.

"Mit meinem Leben."

"Sorry, Cap."

Tony hielt die Luft an.

Und schoss.

*

Es war die Stille, die Tony am meisten traf. Der fehlende Aufschrei, als sich Steves Augen weiteten. Als er sich krümmte und einfach in sich zusammenfiel wie ein Kartenhaus. Wie er zwischen Schutt und Staub und Glassplittern liegen blieb, ohne einen Laut von sich zu geben.

Stille. Es war lächerlich und absolut unmöglich: Um sie herum wütete noch immer die Schlange im Kampf mit dem Hulk, Blitze knisterten über ihnen in der Luft, Stimmen riefen wirr über die Interkom-Leitung. Er war sich sicher, dass irgendwo in der nächsten Straße einer von Clints Pfeilen explodierte, aber er hörte es nicht. In seinen Ohren pochte laute, unerträgliche Stille.

Flüssigkeit sickerte unter Steve hervor, dunkel, glänzend und rot, und Tonys Atem stockte.

JARVIS sagte etwas, doch er hörte es nicht. Tony brauchte eine gefühlte Ewigkeit, bis ihm klar wurde, dass er zu weit weg stand, dass die Rüstung auf die Entfernung nichts messen konnte, dass die Blitze und die Magie in der Luft seine Systeme völlig auf den Kopf stellten. Mit einem atemlosen Ah ließ er die Hände sinken und ging auf den leblosen Körper zu.

Tony wusste nicht, was er vorhatte, wenn er dort angekommen war. Tot, dachte er. Er ist tot, Tony. Nichts mehr zu machen. Er konnte nicht anders: Er musste auflachen. Es war bitter und trocken und Tony erstickte fast daran. Er hatte getan, was Steve von ihm verlangt hatte. Er hatte die schwierige Entscheidung getroffen und Steve hatte dafür bezahlt. Mit seinem Leben.

"Bist du jetzt stolz auf mich, Cap?", wollte er wissen, aber er bekam nie eine Antwort.

Langsam beugte er sich vor, wollte nach Steves Schulter greifen und ihn auf den Rücken drehen, doch da traf ihn etwas an der Schulter. Die Wucht war so stark, dass er sie selbst durch die Rüstung hindurch noch spürte und mehrere Meter davonschlitterte. Staubwolken stoben unter seinen Stiefeln auf, als er zum Stehen kam.

"Was soll dieser Wahnsinn?" Mjölnir flog zischend zurück in die Hand, die ihn geworfen hatte. Thors Finger spannten sich um den Griff seines Hammers. "Warum greifst du deine eigenen Mitstreiter an?"

Thors Stimme konnte furchteinflößend und beeindruckend zugleich sein, wenn er wütend war. Seine Worte hallten vorwurfsvoll über die leere Straße, doch in seinen Augen lag ehrliche Verwirrung. Wie nur selten in seinem Leben fehlte es Tony an Worten.

"Was hat Iron Man jetzt wieder für eine Scheiße gebaut?", kam es von Clint über das Interkom. "Sagt mir nicht, er hatte einen Kurzschluss. Das-"

"Es ist Cap." Glas knirschte. Als sie sich umdrehten, stand Natasha bei ihnen und starrte auf Steves Körper hinab. Ihr Blick war eine seltsame Mischung aus Verwunderung und Neutralität, die Tony nicht deuten konnte. "Es hat ihn erwischt."

Die Stille über Clints Leitung war bezeichnend.

Dann explodierte die Welt über ihnen in einem Regen aus Zementbrocken, Brackwasser und noch mehr Glas. Lokis Schlange hatte ihren Weg zurück zu ihnen gefunden und das halbe zehnte Stockwerk eines Hochhauses mit einem einzigen Schwanzhieb mitgerissen. Irgendwo in der Nähe brüllte der Hulk auf. Tony schnappte sich Black Widow und schoss mit ihr nach oben, bevor sie getroffen werden konnten. Um Thor machte er sich keine Sorgen. Der fand immer einen Weg. Aber Steve … Tony versuchte die Trümmer zu scannen, versuchte einen Körper auszumachen, wo jetzt nur noch Schutt lag. Sie landeten auf dem Hochhausdach, auf dem auch Clint war, dicht gefolgt von Thor.

"Es war der Andere, nicht wahr?" Natashas Stimme ging in dem Tosen beinahe unter.

"Es war Johann Schmidt, Leute." Tonys Worte kamen mechanisch, ohne dass er darüber nachdachte. "Loki hat uns reingelegt. Sie haben gemeinsame Sache gemacht, er und der Andere. Red Skull. Es war der verdammte Red Skull, von Anfang an. Glaubt mir, es ist besser so. Steve war praktisch verschwunden."

"Du Narr", bellte Thor. Es hätte bedrohlich wirken müssen, wie er auf Tony zuschritt, doch seine Augen waren groß und verständnislos. "Es hätte einen anderen Weg geben müssen! Es gibt immer einen anderen Weg!"

Natasha ging dazwischen. "Nein, Thor. Manchmal gibt es den nicht."

Thors Gesicht verzog sich zu einer schmerzhaften Grimasse und Clint gab ein zischendes Geräusch von sich. Etwas in Natashas Augen schien zu erlöschen. Tony war nie ganz hinter ihre Fassade gedrungen, konnte sie nur selten lesen, doch er wusste, dass sie Steve respektierte. Respektiert hatte. Ihr Blick wurde kalt. Tonys Gesicht fühlte sich taub an. Jeder gab vor nicht zu bemerken, wie Thor sich mit dem Arm über die Augen wischte.

"Was jetzt?" Black Widow zurrte ihren elektrischen Handschuh fest, während sie niemand im Speziellen ansprach. Eine Welle der Übelkeit erfasste Tony, doch er hatte keine Zeit dafür, keine Zeit für seine sich im Kreis drehenden Gedanken (er ist tot er ist tot ich habe ihn umgebracht tot tot tot).

Zitternd atmete er ein und aus. So tun als ob. Das konnte er. Darin war er großartig. "Bruce gibt sein Bestes, aber alleine kann er es nicht mit der Schlange aufnehmen. Thor, gib ihm Rückendeckung. Haltet sie in Schach und versucht sie von den Wohngebieten wegzulocken. Widow, Hawkeye, wir nehmen uns Lokis Spiegelbilder vor."

Clints Finger glitten über einen seiner Pfeile, als er nickte. "Sorry Thor, aber dieses Mal mache ich ihn kalt." Es klang nicht wie eine Drohung, sondern wie ein Versprechen. Ausnahmsweise widersprach der Donnergott nicht. Mit wirbelndem Hammer und einem gewaltigen Satz war er wieder in der Luft. Tony reichte Natasha eine Hand. Keinen Augenblick später setzte er sie unten auf der Straße ab, bevor er selbst wieder nach oben schoss und nach einem von Lokis Doppelgängern Ausschau hielt.

Das Viertel sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen: Straßenabschnitte waren aufgerissen, Autos lagen eingedellt oder mit dem Dach auf der Straße, Schaufensterscheiben waren zersplittert. Was nicht mit Staub und Trümmern bedeckt war, stand Zentimeter tief in trübem Wasser, das aus aufgebrochenen Leitungen leckte oder in Schwallen aus dem Maul der Wasserschlange spritzte. Zumindest die Zivilisten hatte Cap- hatten sie zum größten Teil evakuieren können.

//Sir!// Drei Fadenkreuze markierten drei Ziele, die sowohl optisch als auch von ihren Werten her keinen Unterschied aufwiesen. Welcher der Gestalten konnte der echte Loki sein? Tony beschloss, dass es vorerst keine Rolle spielte. Er ging in einen Sturzflug über und feuerte drei gezielte Schüsse ab, die alle ins Leere gingen. Dadurch, dass sich die Schemen so schnell bewegten, konnte er nie sicher sein, ob und wann sie die Position gewechselt hatten. Im einen Moment konnte er noch gegen den echten Loki kämpfen, nach einem Blinzeln konnte es nur noch eine Kopie sein.

Ein ohrenbetäubendes Donnern ertönte, als Thor mit Mjölnir weitere Blitze heraufbeschwor. Bruce - der Hulk hatte sich am oberen Teil der Schlange festgekrallt und hämmerte grollend auf ihren Kopf ein. Er war der einzige, der den Zwischenfall mit Cap nicht mitbekommen hatte, und das war auch besser so. Später würde Bruce davon erfahren und er würde versuchen mit Tony darüber zu reden, während Tony wie immer so tat, als wäre die Welt ein bunter Ponyhof mit Scotch und Drogen. Wenn sie die Sache denn überlebten. Momentan standen die Chancen dafür nicht besonders gut.

Obwohl Thor und Bruce die Schlange mit Faust- und Hammerschlägen eindeckten, reichte es nicht aus, um ihr ernsthaften Schaden zuzufügen. Sobald Mjölnir ein gigantisches Stück herausschlug und dreckige Wasserfontänen hervorspritzten, löste sich unter kreischendem Metall ein weiterer Wasserturm von einem der Dächer, um die Lücke zu schließen. Am Boden war Natasha in ein Handgemenge mit zwei der Lokis verwickelt. Trotz ihrer blitzschnellen Bewegungen, landete sie kaum einen Treffer, trat ins Leere oder schlug haarscharf an ihren Köpfen vorbei. Tony fällte einen Doppelgänger nach dem anderen, doch es schien nichts zu ändern.

Sie waren am Verlieren.

Sie mochten ein Team sein, aber sie hatten zu wenig Erfahrung miteinander, waren nicht eingespielt genug, um den Verlust eines Teammitgliedes so einfach kompensieren zu können. Ohne Cap fehlte ihnen das Bindeglied, das einen verrückten Haufen wie ihren zusammen hielt. Steve hatte es irgendwie geschafft, einen Draht zu ihnen allen zu finden. Und jetzt war er-

"Stark, ich glaube, ich habe ihn." Natashas Stimme kam abgehackt und keuchend über das Interkom. Während ihre Faust durch das Gesicht einer Projektion hindurchschlug, gab sie die Position für eines der Dächer durch.

"Bestätige", sagte nun auch Clint. "Habe freie Schussbahn."

Tony ließ einen weiteren Doppelgänger mit einem Repulsorstrahl hochgehen, bevor er seinen Blick wandern ließ und die Gestalt auf dem Dach des Hochhauses ausmachen konnte. Auch bei ihr spielten seine Anzeigen verrückt, doch die schiere Ansammlung an magischer Energie und die Ruhe, mit der sie da oben stand, verrieten ihn. Typisch Loki: der ewige Beobachter, immer nahe genug am Geschehen, um die Show zu genießen. Wenn sie ihn ausschalten oder zumindest ablenken konnten, musste er die Kontrolle der Schlange aufgeben. Nur ein Moment der Unachtsamkeit konnte das Blatt wieder zu ihren Gunsten wenden.

"Tu es!" Verdammt nochmal, tu es und bring es zu Ende.

Clint schoss. Und auf einmal schien alles eine Spur langsamer zu gehen. Tony glaubte, Black Widow unten am Boden den Atem anhalten zu sehen, glaubte den Hulk aufbrüllen zu hören, ja, er bildete sich sogar ein, Clints Pfeil durch die Luft zischen zu sehen. Es war eine perfekte Flugbahn, ein leichter Bogen, um die Distanz zu überbrücken, und genug Wucht dahinter, um auch für einen Gott wie Loki unangenehm zu werden.

Wenn er nur sein Ziel erreicht hätte.

Wenige Meter bevor er Loki traf, flog etwas dazwischen. Der Pfeil zerbarst und segelte zu Boden, während das Ding – ein verwischter Schatten, eine Scheibe – einen Bogen beschrieb, Clint von den Füßen riss und sirrend zurück zu seinem Besitzer flog. Das Geräusch war vertraut, ein vibrierender Singsang von einem Gegenstand, den Tony inzwischen überall wieder erkannt hätte: Caps Schild.

Fuck.

*

"Schmidt!"

Hätte Tony noch einen letzten Beweis für seine Vermutung gebraucht - das hämische, uncharakteristische Grinsen, das sich auf Steves Gesichtszüge stahl, wäre es gewesen.

Offensichtlich hatte er Tonys Angriff überlebt und es irgendwie aus den Trümmern herausgeschafft. Er hatte die Kapuze abgestreift und die Captain America-Uniform war an vielen Stellen hoffnungslos zerrissen. Darunter war jedoch unversehrte Haut zu erkennen. Tony war hin- und hergerissen zwischen unsäglicher Erleichterung und kochender Wut, denn Schmidts Augen bedachten ihn mit einem spöttischen, schwarzen Blick. Es war noch nicht vorbei.

Mit einem gewaltigen Satz sprang Tony vom Boden ab und überbrückte damit die Strecke zwischen ihnen. Er feuerte einen Repulsorstrahl, der aber nur gegen den Schild prallte, zischend reflektiert wurde und sich hinter Tony verlor.

Ein Tritt ging dicht an Tonys Gesichtsplatte vorbei, dann begann Schmidt gnadenlos auf ihn einzuschlagen. Er war ein ähnlich starker, wendiger Nahkämpfer wie Steve, auch wenn sich ihre Techniken in einem entscheidenden Punkt unterschieden: Steve kämpfte, um zu gewinnen. Red Skull kämpfte, um zu töten.

"Ich hätte es schon bei der Opernmusik wissen müssen", spottete Tony und blockte einen von Schmidts Schlägen. "Steve hat vielleicht keine Ahnung von Musik, aber so beschissen ist sein Geschmack auch nicht."

Er hatte Wagner noch nie leiden können.

"Es ist ein Jammer, Anthony. Du und dein Reaktor, ihr hättet mir zu Größe verhelfen können. Aber für dich ging es immer nur um den Captain. Keinerlei-" Die Kante des Schilds schrammte über Tonys Brustplatte, als er sich nicht schnell genug wegduckte. "-Ambitionen."

"Den Reaktor kannst du vergessen. Nur über meine Leiche."

"Oh, das lässt sich einrichten." Wieder dieses teuflische Grinsen. "Aber ich brauche ihn nicht mehr. Ich habe etwas Besseres gefunden."

Also doch: Loki. Er war sich nicht sicher, ob er es vorher einfach nur nicht bemerkt hatte, oder ob es erst jetzt ersichtlich wurde, doch Steves Körper war von einem schwachen, magischen Leuchten umgeben. Vielleicht hatte Loki ihn so geheilt oder beschützt. Scheiße, wahrscheinlich hatte Loki ihm so auch ermöglicht, durch all die Tests zu schlüpfen und JARVIS zu täuschen.

Loki - der echte, wenn Tony sich nicht völlig täuschte - stand noch immer dort, wo sie ihn zuletzt gesehen hatten. Offensichtlich schien er es nicht für nötig zu halten, sich weiter zu verbergen. Offensichtlich schien er es auch nicht für nötig zu halten, einen Finger für Schmidt krumm zu machen. Im Gegenteil beobachtete das Schauspiel mit unverhohlener Neugier. Wenn die beiden tatsächlich Verbündete waren, dann musste es eine wirklich lausige Abmachung sein.

"Loki tut, was er will. Ich würde mich nicht zu sehr auf ihn verlassen." Aus dem Augenwinkel sah er Natasha herannahen und machte den Fehler seine Deckung offen zu lassen.

Er sah es zuerst, bevor er es fühlte: Wie Schmidt sich unter Tonys Schlag hinwegduckte und den Schild gegen Tonys Oberschenkel rammte. Mit der Wucht dahinter durchtrennte das Vibranium sauber die Aluminium-Titan-Schicht. Etwas in Tonys Bein knackte. Funken sprühten, als Leitungen gekappt wurden. Erst dann kam der Schmerz. Tony brüllte auf, aber noch stand er, deshalb holte er wieder mit der Faust aus. Sein Schlag traf auf solides Vibranium, doch Schmidt war lange genug beschäftigt, damit Natasha mit ihrer Glock auf ihn zielen konnte. Ein perfekt gezielter Streifschuss sorgte dafür, dass der Schild aus seinem Griff rutschte und zu Boden fiel. Scheppernd rollte er davon.

Tony wurde mitsamt der Rüstung zu Boden gerissen. Die Wucht der Erschütterung und der Schmerz in seinem Bein ließ ihn für einen Moment die Orientierung verlieren. Schließlich ging eine zweite Erschütterung durch die Rüstung, dann wieder und wieder, bis Tony klar wurde, was passierte. Schmidt war über ihm und seine Fäuste hämmerten mit der Wucht eines Vorschlaghammers auf ihn ein.

Er verpasste Schmidt einen Kopfstoß, der ihn kurzzeitig betäubte. Tonys Hand schoss nach oben, packte eines von Schmidts Handgelenken, drückte zu. Ein übelerregendes Knacken ertönte, als etwas unter dem eisernen Griff brach. Die Elle vielleicht. Oder einer der Handwurzelknochen. Tony zuckte zusammen.

"Steve ..."

Sein Zögern war ein weiterer Fehler. Große Hände (Steves makellose, wundervollen Hände) griffen nach Tonys Kopf. Kurz spürte er ein Zerren durch die Rüstung gehen, als ob Schmidt versuchte, ihm den Helm herunter zu reißen. Dann rammte er ihn mit Wucht zurück gegen den Asphalt und Tony sah Sterne. Immer und immer wieder.

"Das ist dein Problem, Anthony"- es knackte hörbar -"Steve ist weg"- ein paar der Anzeigen fingen an zu flackern -"und du hast versagt!"

Oh ja, er hatte gehörig versagt. Nicht mehr lange, und er brauchte sich darüber keine Gedanken mehr machen.

Doch dann war da Natasha – gesegnet seien ihre Ninja-Künste –, die aus dem Nichts auftauchte und einen üblen Tritt gegen Schmidts Unterkiefer landete. Ihr Schwung riss ihn von Tony herunter und zusammen rollten sie in einem Knäuel aus Fäusten und Tritten über den Boden.

Tony versuchte sich aufzurichten, doch Caps Schild hatte ihm nicht nur das Bein gebrochen. Eine der Platten war so verbogen, dass sie sich in der Mechanik verkeilt hatte. Sein rechtes Bein war ein totes Gewicht, das stocksteif und gerade blieb, egal, wie sehr er versuchte es zu bewegen.

Scheiße, scheiße, scheiße.

Er überschlug seine Möglichkeiten, doch bevor er etwas tun konnte, erklang eine wohl bekannte Stimme in seinem Kopf: "Kannst du vollenden, was du angefangen – und noch wichtiger: versprochen – hast?"

Schritte kamen scharrend näher, bis sich ein bleiches Gesicht mit giftgrünen Augen in sein Blickfeld schob. Er konnte nicht mehr sagen, ob es wirklich Loki war oder einer seiner zahlreichen Doppelgänger, aber die Stimme in seinem Kopf war real. "Zu töten, was man zu lieben glaubt - das fordert mehr als ein Versprechen."

Tony wollte ihm ins Gesicht schlagen. Alles, was er zustande brachte, war zitternd einen Repulsor auf ihn zu richten. Loki schien unbeeindruckt. "Was weißt du schon von Liebe?"

"Sprach der Mann ohne Herz", konterte Loki und legte den Kopf schief. Er tippte Tony auf die Brust, bevor über ihn hinweg blickte. Tony konnte Blitze knistern hören und wusste, wonach Loki Ausschau hielt. "Jedoch ... möglicherweise sind wir uns darin nicht so unähnlich."

Sie sahen einander an. Im Nachhinein war er sich nicht sicher, was ihm in jenem Moment durch den Kopf ging. Was ihn davon abhielt einfach zu schießen. Eine Ahnung vielleicht. Resignation. Oder ein Anflug von Wahnsinn. Schlussendlich aber ließ er den Arm sinken.

Lokis Lächeln war überraschend ... normal. Frei von jeglicher Boshaftigkeit und fast schon ein wenig mitfühlend. Aber das konnte auch nur Einbildung sein, eine Nebenwirkung von den stechenden Schmerzen, die sein Bein hochkrochen. Tony schüttelte den Kopf, blinzelte, und als er die Augen wieder öffnete, war Loki verschwunden. Und mit ihm alle seine Doppelgänger.

"Freunde!", donnerte Thors Stimme durch das Interkom. "Hört ihr mich? Die Schlange hat ihre Kräfte verloren. Wir können sie niederstrecken!"

Loki, dachte Tony benommen. Er hat die Kontrolle aufgegeben.

Ein Aufschrei brachte ihn zurück auf den Boden der Tatsachen, noch bevor er sich darüber wundern konnte.

Natasha war eine verteufelt gefährliche und geschickte Kämpferin, doch in Sachen Wucht und Ausdauer konnte sie es nicht mit Steve aufnehmen. Nicht lange genug. Sie taumelte bereits und kassierte mehr Schläge als sie austeilte. Blut tropfte aus ihrer Nase.

Ein Pfeil zischte an Schmidts linkem Ohr vorbei und die Schläge nahmen ein Ende.

"Das war ein Warnschuss, Skull" , bellte Clint vom Dach. Blut verklebte seine Haare dort, wo Caps Schild ihn getroffen hatte, und lief ihm über die Stirn in den Augenwinkel. Es war ein Wunder, dass er überhaupt zielen konnte. "Der nächste trifft."

Tony nutzte die Ablenkung, um einen Repulsorstrahl zu feuern, der eine ohnehin schon lose stehende Hauswand hinter Schmidt zum Einsturz brachte. Natasha konnte sich mit einer Rolle aus dem Weg bringen, doch Schmidt wurde unter den fallenden Brocken begraben. Zementstaub wirbelte herum. Als er sich legte, konnte Tony den blonden Haarschopf von Steve unter den Trümmern ausmachen. Seine Finger zuckten.

Über das Interkom konnte er hören, wie Clint einen neuen Pfeil einlegte. "Ich bring's jetzt zu Ende."

"Hawkeye, warte!"

"Stark, Cap ist ein Supersoldat, aber das heißt nicht, dass er unverwundbar ist. Ein gezielter Schuss kann ihn trotzdem ausschalten."

"Glaubst du, das weiß ich nicht?!" Er hatte seine Hausaufgaben gemacht. Die Frage war nicht das Wie. Wichtig war das Wer. "Ihr versteht das nicht ... Ich muss das tun. Es ist meine Aufgabe."

Weil Steve ihm dieses Versprechen abgenommen hatte. Weil er das Arschloch war, das die schweren Entscheidungen treffen musste. Wie hatte Loki so schön gesagt? Der Mann ohne Herz.

Tony öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, aber- Moment. Mann ohne Herz. Mann ohne Herz. Loki hatte ihm dabei nicht ins Gesicht gesehen, sondern auf den Reaktor. Plötzlich erinnerte Tony sich an das letzte Mal, als sie sich so gegenüber gestanden waren: Loki mit seinem Gedankenkontroll-Stab, der kläglich an Tony gescheitert war. Nein, nicht an Tony. Sondern am Reaktor. Warum war das so gewesen ...?

Eine seiner lädierten Statusanzeigen flackerte einsam vor sich hin. An und aus, leuchtend blau und pechschwarz, immer und immer wieder, bis sie schließlich den Geist aufgab. Tony schnappte nach Luft. Das Flackern! Das Flackern in Steves Augen, sobald er dem Reaktor zu nahe kam!

Nur der Tesserakt konnte die Effekte des Tesseraktes aufheben - oder eine Energiequelle, die ihm ähnelte. Lokis Zauber hatte damals nicht funktioniert, weil der ARK-Reaktor auf dem gleichen Prinzip basierte. Und wenn der Reaktor die Macht besaß, den Tesserakt zu neutralisieren ...

"Clint, ich habe einen Plan!"

"Ich hoffe es ist ein guter, weil Dornröschen gerade wieder aufwacht." Unter dem Staub und Schutt begann Red Skull sich wieder zu regen.

Tony schmiss ein paar Werte in seinem Kopf zusammen, während er rückwärts kroch, weg von Schmidt. Die Repulsoren würden nicht ausreichen. Aber der Unibeam, der durch den Reaktor angetrieben wurde … der könnte es schaffen. Der könnte ihn außerdem umbringen, und Steve gleich mit. Es war ein kalkuliertes Risiko, das er für sich selbst sofort eingegangen wäre. Bei Steve … Tony schluckte. Hatte er denn eine andere Wahl?

"Alle Energie auf den Reaktor fokussieren."

//Sir? Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, dass-//

"Jetzt ist wirklich nicht der Zeitpunkt mir moralische Fragen zu stellen, J. Tu was ich dir sage! Und beeil dich!"

Selbst über zwei Straßen hinweg konnte er die bizarren Todesschreie der Wasserschlange hören – eine Mischung aus Gurgeln und kreischendem Metall, die Tony die Nackenhaare aufstellen ließ. Sie hatten es fast geschafft. Nur noch diese eine Sache. Nur noch Steve.

Der Reaktor begann zu summen. Tony schob sich weiter von Schmidt weg, als dieser langsam wieder auf die Beine kam. Schmidt spuckte Blut aus, wischte sich den Rest aus dem Mundwinkel und grinste ihn gefährlich an. "Schluss mit den Spielchen!"

//Unibeam bereit.//

Schmidt sprang.

"Feuer!"

Eine weißblaue Säule aus Licht explodierte aus der Mitte von Tonys Brust. Der Strahl traf Schmidt mitten im Sprung und war so stark, dass er ihn mehrere Meter zurückwarf. Erst dann fand er sein Gleichgewicht wieder, ja, lehnte sich gegen den Strahl.

"Nutzlos", spuckte er hervor und kämpfte sich Schritt für Schritt vor.

Komm schon, fieberte Tony in Gedanken. Er spürte, wie der Reaktor in seiner Brust auf Hochtouren lief. Das Summen, die Hitze, die Energieanzeige in seinem Blickfeld, die langsam aber sicher auf den Nullpunkt sank. Bis er endlich, endlich, endlich das sah, worauf er die ganze Zeit gewartet hatte: Ein Flackern in Steves Augen.

"Steve! Ich weiß, du bist da drin! Ein wenig Hilfe wäre nicht schlecht!"

Bitte.

Selbst später war er sich nie ganz sicher, ob er es sich nicht eingebildet hatte: Wie Steves Augen einen Moment lang wieder blau wurden und ihn entschlossen ansahen. Wie er ihm zuzunicken schien und weiter gegen den Strahl anging, diesmal jedoch mit der vollen Absicht sich treffen zu lassen. Was er sich nicht einbildete, war das heisere "Tony", das schließlich über Steves Lippen kam. Tonys Herzschlag stolperte, doch vielleicht lag das nur daran, dass der Magnet in seiner Brust allmählich seinen Saft verlor.

Tony beendete den Angriff. Keine Sekunde zu früh. Geschwächt ließ er sich zurückfallen, stützte sich auf seine Arme und beobachtete, wie Steves Körper das Gleichgewicht verlor und nach vorne sackte. Schmidt (Steve?) stolperte die letzten Schritte in Richtung Tony, eine Hand schützend um seinen Oberkörper gelegt, die andere erhoben. Vielleicht zum Schlag. Vielleicht um sich festzuhalten.

Tony ließ die Gesichtsplatte hochklappen. "Steve?"

Steves Atem hörte sich falsch an, rasselnd und unregelmäßig, doch seine Augen waren blau, blau wie der Himmel, und einen Herzschlag lang vergaß Tony alles andere. Er streckte die Arme aus, als Steve ihm entgegenstolperte und auf die Knie sank.

"Tony. Du hast es geschafft."

"Steve, ist alles-"

Eine Hand in seinem Nacken zog ihn nach vorne, dann pressten sich Steves Lippen auf seine. Es war ein furchtbarer Kuss: unbeholfen, leicht verrutscht, ohne Zunge, mit dem Geschmack von Staub und dem metallisch-salzigen Hauch von Blut. Es war mit Abstand das Beste, was Tony jemals erlebt hatte.

"Oh", murmelte er geistreich, nachdem Steve sich wieder zurücklehnte. Seine Fingerspitzen zitterten gegen Tonys Wange.

"Tut mir Leid."

"Oh nein, wage es ja nicht, dich dafür zu entschuldigen. Du hast ja keine Ahnung-"

"Tut mir Leid", sagte Steve noch einmal und lächelte. Seine Hand rutschte von Tonys Schulter.

Erst da bemerkte Tony das Blut. "... Steve?"

"Schön dich zu sehen, Tony."

Das Lächeln war noch immer auf Steves Lippen, als er die Augen schloss.

*

"Steve, Steve, Steve, Steve, hörst du mich? Es ist vorbei! Es hat geklappt und Schmidt ist weg! Du musst niemanden mehr vor dir schützen. Du kannst-" Er verschluckte sich an seinen eigenen Worten, wusste selbst nicht, was er eigentlich sagen wollte. Der Kuss von eben brannte auf seinen Lippen wie Feuer.

"JARVIS ...?"

//Lebensfunktionen auf 17 Prozent. Keine Regeneration erkennbar.//

Es hatte geklappt. Schmidt hatte Steves Körper verlassen. Es hatte geklappt, also warum heilte er nicht? Steves Körper war wie ein Sandsack in Tonys Armen und, scheiße, das Blut. Das Blut war überall. Es lief über Tonys Rüstung, klebte an seinen Metallhänden und machte sie rutschig, durchtränkte Steves Uniform in blau, weiß, rot, rot, rot ...

Steve konnte nicht einfach so sterben. Er war ein Supersoldat. Er war derjenige, der 70 Jahre im Eis überlebt hatte. Er war Captain America, verdammt nochmal. Er hatte es verdient zu leben.

"Wach auf", flüsterte Tony. Und dann tat er das, was er immer tat, wenn alles zu viel für ihn wurde, wenn Panik seinen Nacken hochwanderte und ihn zu ersticken drohte: Er begann zu reden. Sinnloses, zusammenhangloses Zeug. Er erzählte Steve ein Märchen von Neutronensternen, Elementsynthese und Gamma-Strahlung, eine Gutenachtgeschichte über Supernovae, Antimaterie und sterbende Sterne. Er redete und redete, weil es das einzige war, das er tun konnte, und weil es das einzige war, das ihn bei Verstand hielt.

Und Steve heilte immer noch nicht.

Das ohrenbetäubende Knattern von Helikoptern kam näher. Stimmen drangen von fern an ihn heran, etwas klopfte und zerrte an ihm, doch er registrierte es kaum.

//Sir. Sie müssen ihn loslassen.//

JARVIS' Stimme war so sanft und geduldig, wie Tony es noch nie von ihm gehört hatte. Das hat er nicht von mir gelernt, schoss ihm zusammenhanglos durch den Kopf. Tony blickte an sich hinunter, sah Steve blutüberströmt in seinen Armen liegen, nahm wahr, wie eine Rettungssanitäterin erfolglos versuchte, den Griff seiner Metallhände von ihm zu lösen. Seine Finger öffneten sich, mechanisch sirrend, wie im Traum, und fremde Menschen zogen Steve auf eine Liege. Der Rest ging unter in aufgeregten Rufen, herbeieilenden SHIELD-Agenten und Chaos.

Jemand schrie Steves Namen.

Es dauerte lange, sehr lange, bis Tony klar wurde, dass er das war. Er ignorierte den reißenden Schmerz in seinem Bein und schlug um sich, als die Sanitäter nach ihm griffen.

Ein Stechen an seinem Hals.

Dann Schwärze.

TBC

Date: 2012-12-28 10:10 pm (UTC)
From: [identity profile] cricri-72.livejournal.com
"Tut mir Leid."
"Oh nein, wage es ja nicht, dich dafür zu entschuldigen. Du hast ja keine
Ahnung-"
Beste Kußszene seit langem. Und schrecklichste (beinahe?) Sterbeszene seit langem.

Ich hatte ja die ganze Zeit schon an Wagner gedacht ...

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