Die Ballade von Tony und Steve
Dec. 23rd, 2012 06:52 pm![[personal profile]](https://www.dreamwidth.org/img/silk/identity/user.png)
Autor:
ayascythe
Fandom: The Avengers (MCU)
Pairing: Steve Rogers/Tony Stark
Rating: R (NC-17 für das letzte Kapitel)
Language: Deutsch/German
Wortanzahl: 45.242
Einstufungen/Warnungen: Mystery, Drama, Angst, Slash
Beta:
3ngel
Disclaimer: Das Avengers-Universum gehört Marvel und jegliches Copyright liegt bei ihnen. Ich habe mir lediglich die Charaktere ausgeliehen, um ein bisschen mit ihnen zu spielen. Ich mache hiermit kein Geld.
Prolog | Kapitel 1: Wahrscheinlichkeiten | Kapitel 2: Finsternis | Kapitel 3: Schlaflos | Kapitel 4: Vertigo | Kapitel 5: Stille | Kapitel 6: Sturm | Kapitel 7: Narben | Epilog
AO3 | FF.de
Fanart-Masterpost von
sweetestremedy: LJ | AO3
Kapitel 7: Narben
Ich möchte jemanden einsingen,
bei jemandem sitzen und sein.
Ich möchte dich wiegen und kleinsingen
und begleiten schlafaus und schlafein.
Ich möchte der Einzige sein im Haus,
der wüsste: die Nacht war kalt.
Und möchte horchen herein und hinaus
in dich, in die Welt, in den Wald.
Die Uhren rufen sich schlagend an,
und man sieht der Zeit auf den Grund.
Und unten geht noch ein fremder Mann
und stört einen fremden Hund.
Dahinter wird Stille. Ich habe groß
die Augen auf dich gelegt;
und sie halten dich sanft und lassen dich los,
wenn ein Ding sich im Dunkel bewegt.
- Zum Einschlafen zu sagen, Rainer Maria Rilke
Er erwachte auf einer steril weißen Liege in einem steril weißen Zimmer der Notaufnahme. Über ihm blendete eine steril weiße Neonbirne seine Sicht und der Geruch von Desinfektionsmitteln hing ihm in der Nase.
"JARVIS?"
Keine Antwort. Jemand hatte ihm mit Gewalt den Helm vom Kopf gerissen und seinen Ohrhörer entfernt. Man hatte außerdem die Rüstung um sein Bein herum aufgeschnitten. Es war kein offener Bruch, so viel konnte er mit seinem begrenzten medizinischen Wissen erkennen, aber es hatte nicht viel dazu gefehlt. Offenbar hatte er Glück gehabt.
Sein Blick wanderte zum ARK-Reaktor, dessen Leuchten ein Stück matter als sonst war. Nichts Lebensbedrohliches. Dennoch ein Anzeichen dafür, dass er bald an einen Ersatzkern denken sollte. Fast die gesamte Energie war für den Unibeam drauf gegangen, mit dem er Schmidt vertrieben hatte und- Oh. Oh.
Scheiße, dachte er, und dann: Steve.
Steve und ein Kuss und jede Menge Blut.
Sein Magen machte einen Satz, der Tony ans Fallen erinnerte. Fallen, ohne Auffangnetz und ohne Repulsoren, Fallen mit einem harten Boden am Ende, Fallen, Fallen, Fallen. Obwohl er lag, wurde ihm schwindelig. Alles war so zähflüssig und die Luft wurde dünn.
"Hey", krächzte er. "Hört mich jemand?"
Vorhänge raschelten, Türen klapperten. Eine brünette Krankenschwester versorgte seine kleineren Wunden und Kratzer. Tony versuchte sie nach Steve zu fragen – "Großer Kerl mit Bodybuilder-Figur und Dackelblick, nationaler Held, großes Loch in der Brust?" – doch entweder wusste sie nicht Bescheid oder hatte Befehl zu schweigen. Als er Anstalten machte, alleine aufzustehen, bedachte sie ihn mit einem Blick, der nicht unbedingt feindselig war, doch ihre Hand wanderte zu einer Spritze auf dem Nebentisch, die ganz sicher mit einem weiteren Betäubungsmittel gefüllt war. Tony lehnte sich auf die Liege zurück.
Irgendwann ging die Schwester. Dafür kam Hill zu ihm ins Zimmer und machte ihn zur Schnecke, allein wegen der 72 Sicherheitsverstöße, die er begangen hatte, ganz zu schweigen von der Gefährdung eines nationalen Helden und der neuerlichen Zerstörung eines Großteils von Manhattan. Er ließ es über sich ergehen, wie er alles über sich ergehen ließ in seinem Delirium aus Betäubungsmitteln und Schock. Die Welt war ein schlechter Horrorfilm mit Wattebauschfilter. Er dachte daran, wie Steve über ihm zusammengebrochen war und grinste, weil er sonst geschrien hätte. Hill ohrfeigte ihn.
Bruce - Bruce? Wo kam Bruce her? -, eingewickelt in eine Wärmedecke, ging dazwischen und redete auf Hill ein.
"Kann ich ihn sehen?", fragte Tony mit schwerer Zunge, doch niemand hörte ihm zu.
"Sie haben kein Recht darüber zu urteilen, wie wir gehandelt haben-"
"Wenn er stirbt, ist es Ihre Schuld-"
"Er wollte die Hilfe von SHIELD nicht-"
Wenn er stirbt. Panik schnürte Tony die Kehle zu. Er begann mit den Fingern zu tippen und erst da fiel ihm auf, dass sie ihm etwas noch nicht weggenommen hatten: die Handschuhe.
Es gibt eine Sache, die seine Entführer in Afghanistan und Obie und SHIELD und alle Firmenhaie der Welt immer wieder übersehen: Wenn man Tony Stark in die Enge trieb, dann tickte er irgendwann aus und wehrte sich. Tony war ein Genie. Die Ausmaße von "sich wehren" konnten verdammt verheerend sein.
Der Repulsorstrahl jagte ein Gerät in die Luft, das bestimmt sehr teuer gewesen war. Während es zischend seine letzten, elektronischen Atemzüge aushauchte, richteten sich alle Blicke auf Tony. Eines musste er Hill lassen: Weder zuckte sie zusammen, noch sah sie schockiert aus. Aber ihre hochgezogene Augenbraue machte Natashas Todesblick Konkurrenz.
Tony wackelte mit den Fingern und ließ den Repulsor abermals aufleuchten.
"Bringt mich zu ihm."
*
Das Krankenhaus war eindeutig eine SHIELD-Einrichtung, denn in regelmäßigen Abständen liefen sie Leuten in Anzügen und mit Bluetoothsets im Ohr über den Weg. Die Fenster waren ein- und ausbruchssicher. Niemand störte sich an Tony, der wie eine aufgeschnittene Konservendose herumhinkte und dabei von einem Kerl mit zerrissenen Klamotten gestützt wurde. Selbst dann nicht, als er und Bruce Zugang zur Operationsabteilung verlangten.
Natasha und Clint waren da. Beide mit finsteren Mienen und eingedeckt mit Pflastern und Verbänden, aber ansonsten unversehrt. Thor war nirgends zu sehen. Tony fragte nicht. Nicht, nachdem Natasha zur Tür nickte, die zu Steves OP-Saal führte. Tony schluckte den Impuls hinunter einfach hinein zu stürmen. Es gab ein paar bescheuerte Dinge, die selbst er nicht tat.
"Was passiert da drin?"
Bruce begann etwas von einer Quetschung des Herzmuskels, Kammerflimmern, hohem Blutverlust und chirurgischen Eingriffen zu erzählen. Es waren Dinge, die Tony nicht wirklich wissen wollte, aber wissen musste. Weil es seine Schuld war, dass Steve jetzt da drin lag. Scheinbar hatte nicht viel gefehlt, dass Steve ihnen beinahe auf dem Weg zum Krankenhaus weggestorben wäre. Scheinbar war er noch nicht über den Berg.
"Es ist nicht so, dass seine Heilung überhaupt nicht mehr funktioniert." Bruces Brille funkelte und glänzte im Licht der Neonröhren, so oft hatte er sie bereits poliert. "Nur im Bereich, wo der Reaktorstrahl ihn getroffen hat ..."
Tony kannte Bruce gut genug, um das herauszulesen, was er ihm nicht erzählte: Schmidt. Der Red Skull hatte seine Spuren hinterlassen, musste etwas in Steve verändert haben. Ob es nun Magie oder Strahlung war, zusammen mit der Energiesignatur des Reaktors hatte das ausgereicht, um die Zellregeneration des Serums aufzuheben.
"Wie lange sind sie schon da drin?"
"Eine knappe Stunde", meinte Clint.
"Wie lange wird es noch dauern?"
Keiner antwortete.
Tony humpelte zu einem der Plastikstühle, bis ihm klar wurde, dass der Sitz das Gewicht seiner Rüstung nicht tragen würde. Kurzerhand ließ er sich auf den Boden sinken. Die Betäubungsmittel ließen allmählich nach und sein Bein brannte von der Hüfte abwärts wie Feuer.
"Du hast das Richtige getan", sagte Bruce leise, doch er polierte dabei weiter seine Brille.
Tony ballte die Hände zu Fäusten und schwieg. Bruce mochte ihn von allen am besten kennen, doch manchmal sagte selbst er das Falsche.
*
Steve überlebte.
Mehr gab es dazu nicht zu sagen und es war alles, was für Tony zählte.
*
Steve wachte nicht auf.
Tony wollte dem zuständigen Arzt ins Gesicht schlagen, doch er beschränkte sich auf einen vernichtenden Blick, der den Kerl tatsächlich einschüchterte. Das oder Natasha, die mit verschränken Armen hinter Tony stand.
"Warum?"
"Das wissen wir selbst nicht so genau. Es ist ein Wunder, dass er den Angriff überlebt hat-", der Doc sah von seinem Klemmbrett hoch und fing weitere giftige Blicke auf, bevor er hinzufügte, "-sowie den Noteingriff. Geben Sie ihm Zeit. Warten ist jetzt das einzige, was ich Ihnen raten kann."
Also warteten sie. Wieder einmal.
Ob der, der danach aufwachen würde, tatsächlich wieder Steve war, blieb eine unausgesprochene Frage, die über ihnen hing wie ein Damokles-Schwert. Tony war sich sicher (zu 99,8733 Prozent sicher), dass Schmidt weg war. Der Red Skull hätte vieles getan, um mit ihm zu spielen und ihn zu täuschen, aber Knutschen gehörte nicht dazu. Außerdem war da noch dieser furchtbare Blick in seinen himmelblauen Augen gewesen, den Tony wahrscheinlich nie wieder vergessen würde.
"Schön dich zu sehen, Tony."
Trotzdem hielten stets mindestens zwei SHIELD-Agenten Wache vor Steves Zimmer.
Tonys Oberschenkelfraktur musste operiert werden. Er willigte nur deshalb in den Eingriff und den Krankenhausaufenthalt ein, weil es so einfacher war, bei Steve zu bleiben.
Die anderen kehrten nach zwei Tagen zum Stark Tower zurück und nahmen das, was von der Rüstung noch übrig war, gleich mit. Einen halben Tag und eine Bein-OP später kam Bruce wieder, um zusammen mit Tony die erste Wache auf der Intensivstation zu halten. Danach kam Clint, dann Natasha, dann fing das ganze von vorne an.
Pepper rief an, um ihn anzuschreien. Was er sich dabei gedacht habe, ob er eine Ahnung hatte, was für ein PR-Desaster das für Stark Industries war (das war gelogen; SI hatte bereits viel schlimmere Desaster gemeistert), ob er endgültig und vollkommen den Verstand verloren hatte. Dazwischen machte sie immer wieder kleine Pausen, um ihrem genervten Seufzen mehr Geltung zu verleihen, und da wusste Tony, dass sie wieder in Ordnung kommen würden. Trennung hin oder her, diese Sache, diese Freundschaft zwischen ihnen würde ihnen nie abhanden kommen. Es war ein kleiner Trost in einer Aneinanderreihung von endlosen Tagen, die aus Warten bestanden.
Wie durch ein Wunder - oder einer massiven Intervention seitens SHIELD - hielt sich die Berichterstattung über Steves "Unfall" zurück. Tony war es einerlei. Er redete kaum und schlief noch weniger. Doch er fragte eine der Krankenschwestern, ob sie ihm eine Flasche Scotch ins Zimmer schmuggeln könnte. Sie sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren.
Von Natasha erfuhr er, dass Loki noch immer auf freiem Fuß war. Thor schickte Grüße an den Captain, hatte sich aber auf die Suche nach Loki begeben und war bis heute nicht zurückgekehrt. Sie schwiegen und schienen beide das gleiche zu denken: Dass Thor seinen Bruder nicht finden würde, wenn er nicht gefunden werden wollte.
"Du hast ihn laufen lassen." Natasha brachte es fertig, selbst beim Trinken von Automatentee aus einem Pappbecher graziös auszusehen. "Dabei hat er uns alle reingelegt."
"Hat er das?", fragte Tony und war sich selbst nicht sicher. Der Mann ohne Herz. Jedes von Lokis Worten war durchdacht, hatte eine Intention. War dieser Satz nur eine gezielte Beleidigung gewesen oder hatte der Lügengott am Ende doch seinen Teil der Abmachung eingehalten? "Ich glaube er hat einfach nur mit uns gespielt."
"Und mit Schmidt." Er sah von seinem Verband auf, an dem er herumgezupft hatte, und kam in den seltenen Genuss eines Lächelns von Natasha. Kein großes Lächeln, und auch nicht besonders froh, aber es war echt. "Ich kenne solche Kerle wie Loki. Unter der ständigen Beobachtung in Asgard muss er sich zu Tode gelangweilt haben. Er nutzt die Gelegenheit für ein bisschen Unterhaltung, begleitet Thor und trifft prompt auf Schmidt – einen Nazi, der besessen von Nordischer Mythologie ist. Eine amüsante kleine Kreatur. Also schlägt er ihm einen Pakt vor, doch Loki hat niemals vor ihn einzuhalten. Er will nur Chaos, und eine Möglichkeit Thor zu entwischen."
"Und alles, was folgt, ist eine große inszenierte Show zu seiner Bespaßung."
Natasha nickte. "Und du und Steve, ihr wart seine Hauptattraktion. Schmidt hat ihn nie interessiert."
Es klang einleuchtend und Tony beschloss, es zu glauben. Selbst wenn es nicht stimmte – sie hatten Loki bestimmt nicht zum letzten Mal gesehen. Vielleicht würde er ihn das nächste Mal fragen.
Sie schwiegen weiter, während ein Herzmonitor schwach vor sich hinpiepste.
Steve war an so vielen Geräten und Schläuchen angeschlossen, dass Tony jedes Mal einen Moment brauchte, um sein Gesicht dazwischen auszumachen. Seine Haut - zumindest das, was davon zu sehen war - war kreideweiß, seine Wangen wirkte eingesunken.
Es erinnerte Tony daran, wie er Steve für ihre erste Schlafuntersuchung vorbereitet hatte. Damals hatte Steve ähnlich ausgesehen: ähnlich verkabelt, ähnlich verloren, aber nicht so ... nicht so, als wäre er gar nicht wirklich da. Wie ein Geist, der zwischen den Welten hing und sich noch nicht entschieden hatte, wo er hingehörte.
War Steve nicht einmal derjenige von ihnen gewesen, der nicht so einfach sterben konnte?
Tja. Tony hatte schon immer ein Händchen dafür gehabt alles kaputt zu machen, was er anfasste. Selbst, wenn es Captain America war.
*
Nach acht Tagen, vier Stunden, 56 Minuten und dreizehn Sekunden wachte Steve zum ersten Mal wieder auf. Es war nur ein kurzes Flattern seiner Augenlider, ein gemurmeltes Wort, das niemand verstand. Danach rutschte er in einen richtigen Schlaf zurück. Die Ärzte meinten, von jetzt an würde es bergauf gehen.
Tony verließ das Krankenhaus noch am selben Tag.
Er ließ sich von Happy abholen, fuhr mit seinem privaten Fahrstuhl direkt in seine Werkstatt und tat das, was er sich bereits seit Lokis Auftauchen versprochen hatte: Er befasste sich eingehend mit dem Inhalt seiner Bar. Eingehend bedeutete, dass die erste Flasche Scotch bereits zur Hälfte leer war, als ihm einfiel, dass er noch immer auf Schmerzmitteln war. Tony starrte auf die Flasche in seiner Hand und beobachtete, wie die Buchstaben auf dem Etikett vor seinen Augen zu tanzen begannen. Schmerzmittel. Na sowas. Er kippte ein weiteres Viertel der Flasche hinunter, schlicht aus Trotz.
Steve würde mich umbringen, wenn er das wüsste, dachte er.
Hielt inne.
Und fing an zu lachen.
Es war ein Glucksen, das sich aus seiner Kehle bahnte und dann lauter wurde, so laut und so verzweifelt, bis ihm die Luft weg blieb. Bis ihm die Tränen kamen. Bis er von seinem Bürostuhl herunterrutschte und unsanft auf dem Boden landete. Schmerz schoss durch seinen Oberschenkel und er japste nach Luft, aber er lachte noch immer weiter.
Dummy fuhr sirrend näher, klickte fragend vor sich hin und bot ihm seinen Arm an.
"Blöder Roboter", lallte Tony und schob ihn weg.
Tony sollte sein Bein so oft wie möglich hochlegen und schonen, doch er wusste schon jetzt, dass das eher eine utopische Wunschvorstellung der Ärzte bleiben würde. Man hatte ihm Krücken gegeben, die er jetzt misstrauisch beäugte. Er würde sich etwas besseres bauen müssen. Etwas mit Verstand, das sich seinen Bewegungen anpassen würde. Etwas, von dem man gar nicht bemerkte, dass man es trug. Wenn er mit Pepper redete, könnte man daraus einen neuen Geschäftszweig eröffnen: Prothesen, Gehhilfen, Dinge, die Menschen halfen.
Gleich morgen.
Für heute reichte ihm der Boden. Der Boden war einfach und solide und sicher. Der Boden war das, wonach er sich gerade fühlte. Er erspähte die Scotch-Flasche, die mit ihm gefallen war und griff danach.
"Cheers", sagte er zu sich selbst und niemandem, bevor er sie leerte.
*
"Essen fassen!"
Jemand packte die Lehne von Tonys Bürostuhl. Er bekam einen Schubs, vollführte eine halbe Drehung auf seiner Fahrt von Holotisch zu Werkbank, bevor er dagegenfuhr und wackelnd zum Stehen kam.
"Was-"
"Essen fassen", wiederholte Clint und stellte ihm einen Teller vor die Nase. Darin dampfte eine Portion von Bruces sagenumwobenem Curry. Es roch köstlich. Jetzt, da Tony darüber nachdachte, fiel ihm auf, dass er wahrscheinlich die letzten 37 Stunden nichts mehr zu sich genommen hatte, außer Kaffe und Scotch. Trotzdem - oder gerade deswegen - zog sich ihm der Magen zusammen, als er an feste Nahrung dachte.
"Hat man dich geschickt?", fragte er misstrauisch.
"Nicht wirklich." Clint zuckte die Achseln. "Aber Bruce hat gekocht und ich dachte, das solltest du nicht verpassen."
"Danke", meinte Tony und schob den Teller ein Stück von sich. "Und warum bist du wirklich hier? Wie bist du hier überhaupt herein gekommen?"
"JARVIS hat mir die Codes gegeben."
"JARVIS!"
//Sie hatten angeordnet, niemanden hereinzulassen, es sei denn eine der Subroutinen würde ausgelöst. Subroutine 'Nahrungszufuhr' hat die Sperre bereits vor dreizehn Stunden aufgehoben. - Sir//, schob die KI hinterher wie die Pointe eines Witzes, den nur sie verstand. Es gelang JARVIS, dabei nicht allzu süffisant zu klingen.
"Verräter."
Clint pflanzte sich auf die Lehne eines Stuhls, die Füße auf die Sitzfläche gestellt. Die Position sah nicht nur unbequem sondern auch höchst instabil aus, doch Clint schien damit keine Probleme zu haben. Im Gegenteil schien er sich pudelwohl zu fühlen.
"Er hat nach dir gefragt, weißt du. Mehrmals", sagte er plötzlich und Tony blinzelte, bevor er den Blick abwandte.
"Hm."
"Es wäre einfacher, wenn du-"
"Keine Zeit. Im Gegensatz zu euch habe ich eine Firma, die ich mit Produkten versorgen muss." Tony ruderte mit den Armen, um sich in Bewegung zu setzen (seit der OP war alles ein bisschen komplizierter und umständlicher geworden), rollte sich zurück zum Holotisch und zog eines der leuchtenden Modelle zu sich heran, an denen er eben noch gearbeitet hatte. Er konnte Clints Blick in seinem Rücken spüren, doch er würde den Teufel tun und jetzt über seine Gefühle lamentieren. Er war in Ordnung, verdammt nochmal. Steve war derjenige, der halb tot im Krankenhaus lag.
"Natasha hat eine Narbe auf der Innenseite ihres rechten Oberschenkels. Ziemlich klein und blass, außer man weiß wonach man suchen muss", kam es auf einmal von Clint. "Die Narbe stammt von mir."
Tony hielt inne. Drehte sich um.
"Barton, das sind Dinge, die ich niemals wissen wollte", meinte er trocken, doch Clint ignorierte ihn.
"Es gibt eine Menge effiziente und elegante Möglichkeiten einen Menschen mit einem Schuss zu töten. Das Herz. Die Kehle. Aber ich schoss ihr damals in die Oberschenkelarterie. Man verliert durch so eine Wunde circa einen halben Liter Blut pro Minute. Ich habe ihr damit Zeit verschafft, genug Zeit für SHIELD, um sie festzunehmen. Trotzdem war sie halbtot, als man sie aufsammelte."
Tony zog die Augenbraue hoch. Clint schien keine Erklärung dafür bieten zu wollen, warum er Natasha damals angegriffen hatte. Er zog sein T-Shirt hoch und offenbarte eine weitere Narbe auf der linken Seite seines Brustkorbs, knapp unter der Armbeuge. "Durchschuss. Budapest, 2009. Tasha musste den Geiselnehmer ausschalten, der an mir klebte."
Tony besah sich die Narbe: Es war ein blasser, eingedellter Bereich, vielleicht münzgroß, und viel zu nahe an der Lunge. Wäre der Schuss ein paar Zentimeter weiter links gelandet, säße Clint jetzt wahrscheinlich nicht in Tonys Werkstatt.
"Läuft diese Ansprache auch auf etwas hinaus, Barton?", fragte er genervt und lehnte sich lässig in seinem Stuhl zurück.
"Dieses Blut, Stark, das wird immer an deinen Händen kleben. Da mache ich dir nichts vor. Du wirst es sehen, wenn du Cap die Hand schüttelst, und du wirst es sehen, wenn er dir vertrauensselig den Rücken zukehrt." Clints Stimme war so rau und hart wie Schmirgelpapier, aber seine Augen waren … warm. Verständnisvoll. "Denk daran, was passiert wäre, wenn du nicht geschossen hättest. Das macht es nicht okay. Nicht wirklich. Aber das macht es zu einer Notwendigkeit. Das macht es richtig. Es gibt Risiken, mit denen man leben muss. Steve ist Soldat und weiß das besser als jeder andere."
Wir sind keine Soldaten.
Tony erinnerte sich daran, wie er Steve angeblafft hatte und an die heiße Wut, die dabei durch ihn gefahren war. Er war nicht wütend auf Steve gewesen, nicht wirklich. Es war mehr die Bereitwilligkeit mit der Steve etwas zu akzeptieren schien, das Tony eben erst gelernt hatte: Wenn er Teil dieses Teams sein wollte, musste er mit Verlusten rechnen. Auch wenn sie direkt vor seiner Nase passierten. Auch wenn er nichts dagegen tun konnte. Auch wenn er sie selbst verschuldete. Steve hatte gewusst, dass solche Dinge passieren konnten, und dafür hatte Tony ihn ein bisschen gehasst.
Tony blickte zur Rüstung und sah das Blut, das an ihr geklebt hatte. Er hatte sie fünfmal reinigen lassen, doch er konnte die dunklen, eingetrockneten Flecken immer noch sehen. Clint hatte Recht: Sie würden immer da sein.
Schließlich räusperte sich Tony, und seine Hände zitterten leicht, als er nach der Scotch-Flasche neben sich griff, um den letzten Rest daraus zu leeren. Der Alkohol brannte seinen Hals hinunter, doch er spürte es kaum.
"Natasha bringt mich um, wenn sie erfährt, dass du mir das mit der Narbe erzählt hast, oder?", fragte er sachlich.
"Jupp." Clint grinste. "Uns beide. Langsam und qualvoll. Also wäre es besser, du hältst einmal in deinem Leben die Klappe, Stark."
Mit einem schnellen Satz, den Tony kaum mit den Augen nachvollziehen konnte, sprang er von der Stuhllehne herunter. Der Stuhl wackelte kurz, fiel aber nicht um. Kurz blieb Clint im Türrahmen der Werkstatt stehen.
"Er wird übermorgen entlassen."
Die Tür fiel mit einem leisen Klicken ins Schloss und Tony war wieder allein in der Werkstatt.
*
//Sir, vielleicht sollten Sie einfach Dummys Hilfe in Anspruch nehmen.//
JARVIS klang leicht gereizt, und das war noch nichts im Vergleich zu dem, was Tony empfand. Er hatte jetzt zum vierten Mal die Kneifzange bei einer umständlichen Bewegung fallen lassen. Sein Bein machte ihn wahnsinnig – nicht nur, dass Bruce ihn bald täglich zur Krankengymnastik schleppen wollte, es war ständig im Weg.
"Ganz bestimmt nicht! Erinnerst du dich noch an das Debakel von 2005? Die Renovierungsarbeiten haben Wochen gedauert. Außerdem dauert es nicht mehr lange und meine mechanischen Krücken sind fertig. Das heißt, wenn ich dieses verdammte Ding hier ..."
Er grummelte einen leisen Fluch, bevor er sich langsam von seinem Stuhl herunterbeugte und dabei eine akrobatische Höchstleistung vollbrachte, als er sich dabei noch zur Seite verbog. Natasha wäre stolz auf ihn gewesen. Die verdammte Zange war tief unter die Werkbank gerutscht und Tony musste sich so sehr strecken, dass er die Bewegung bis ins Bein spürte.
"Merke: Werkstatt Invaliden-freundlicher gestalten. Notier das, J."
JARVIS zögerte nur ein paar Sekunden, bis er mit einem "Verstanden" bestätigte, doch das reichte aus, um Tony stutzen zu lassen.
Er war nicht abergläubisch. Er glaubte auch nicht an einen sechsten Sinn, und was er von Magie hielt, wusste nun wirklich jeder. Aber er wusste es, er wusste einfach, dass Steve hinter ihm stand. Deshalb ließ er sich auch besonders viel Zeit, bevor er sich wieder aufrichtete. Deshalb ließ er den Blick gesenkt, als er sich wieder über seinen neuen Prototyp beugte. Deshalb klang seine Stimme auch so bestimmt neutral, als er sagte: "Ich dachte, man hat dich nach Hause gehen lassen."
Eine ganze Weile herrschte Schweigen. Nur das leise Klicken und Quietschen von Tonys Arbeit an den Drähten war zu hören. Dann ertönte ein Schnauben.
"Hat man auch. Der Stark Tower ist jetzt mein Zuhause." Tony tat so, als bemerkte er die Kränkung in Steves Stimme nicht. "Dachte ich zumindest."
"Oh, doch, natürlich. Der Tower gehört jetzt allen Avengers. Dafür sind die Suites ja da. Ich habe mich nur gefragt, was du dann hier in der Werkstatt machst. Solltest du dich nicht ausruhen?"
Wieder Stille. Vielleicht wägte Steve ab, ob er sich auf Tonys passiv-aggressives Spielchen einlassen sollte. Stattdessen landete ein förmlich aussehender, weißer Briefumschlag neben Tony auf der Werkbank. Sein Blick blieb daran kleben.
"Was ist das?"
"Deine Vorladung von SHIELD. Fury will eine offizielle Erklärung von dir zu dem, was passiert ist. Deine Zugehörigkeit zum Team wird in Frage gestellt. Ich hab ihnen gesagt, dass das Unfug ist. Dass es meine Entscheidung war. Und dass es unsere Entscheidung ist, wer zum Team gehört und wer nicht."
Tony war sich nicht sicher, ob der Rest des Teams genauso dachte. Thor war vor einigen Tagen zurückgekommen, ungewöhnlich schweigsam und missmutig. Er hatte kein Wort darüber verloren, ob er Loki gefunden hatte, doch sein Verhalten gegenüber Tony war … ruppig. Von allen schien er Tony die Sache am meisten übel zu nehmen.
Tony griff nach dem Umschlag, drehte ihn in den Händen, fühlte das raue Papier zwischen seinen Fingern. Eine Vorladung. Wollte Fury sich das wirklich antun? Nach allem, was Tony damals mit Senator Stern und Justin Hammer veranstaltet hatte? Bitte. Wenn er wollte. Das würde interessant werden.
"Sieh mich an, Tony."
Allerdings hatte Fury nicht Unrecht. Wie sollte man einer Truppe von Helden das Wohl der Menschheit anvertrauen, wenn man sich nicht einmal sicher sein konnte, dass sie sich nicht gegenseitig zerfleischten? (- und das Geräusch von Blut, das auf den Boden tropft, macht ihn fast wahnsinnig, das ist nicht in Ordnung, niemand sollte so stark bluten können und-) Vielleicht wurde es Zeit, wieder alleine zu kämpfen ...
"Sieh mich an!" Sein Stuhl wurde herumgewirbelt. Tony wusste nicht, was er erwartet hatte, aber sicher nicht diese Normalität. Steve in einem seiner altmodischen Karo-Hemden und den langweiligen Khaki-Hosen, die seinem Hintern einfach nicht gerecht wurden. Er sah gesund aus. Weder blass, noch unsicher auf den Beinen, noch abgemagert. Nur die sorgenvolle Falte zwischen seinen Augenbrauen verriet, dass etwas nicht in Ordnung war.
Tony leckte sich über die Lippen und glaubte Blut zu schmecken.
"Geht's dir gut?"
Es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass die Frage an ihn gerichtet war. Steve deutete auf Tonys Bein, das er vor sich ausgestreckt hatte. Reue vermischte sich unter die Besorgnis auf seinem Gesicht. "Ich hab dir das Bein gebrochen."
Ich hab dich fast umgebracht, dachte Tony und zuckte mit den Schultern.
"Ein bisschen mehr Metall in meinem Körper, sonst nichts. Ein Glück, dass ich einen eigenen Privatjet habe. Weißt du eigentlich, wie unglaublich penibel heutzutage die Sicherheitsvorkehrungen an Flughäfen sind? Rein theoretisch dürfte ich gar nicht an Bord eines Flugzeugs, weil der Reaktor eine potentielle-"
"Tony."
Tony hielt inne, sah hierhin und dorthin, aber nie ganz in Steves Augen. "Steve. Das sind unsere Namen. Schön, dass wir das geklärt haben."
Steve verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. Ah, das hatte Tony beinahe vermisst: Der patentierte "Deine bloße Existenz ist eine Enttäuschung"-Blick war wieder da. Auf Captain Americas Geringschätzung war immer Verlass.
"Soll es so also laufen? Wir schweigen die Sache tot, bis wir uns nicht mehr ansehen können?"
"Ich weiß nicht, Steve, im Moment kann von Schweigen keine Rede sein. Dafür ähnelt das Ganze zu sehr einem Kreuzverhör."
"Wir müssen darüber reden, Tony. Ich kann das nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Wir haben gegeneinander gekämpft und ich- ich habe dich geküsst." Ein schwacher Hauch von Röte machte sich auf Steves Wangen breit. Unter anderen Umständen hätte Tony es genossen.
"Ach, hast du? Bist du sicher, dass du das warst?"
Er wusste, dass er zu weit gegangen war, noch bevor er zu Ende gesprochen hatte. Ärger flammte in Steves Augen auf, und er beugte sich vor, dicht über Tony, und stützte die Arme auf den Lehnen des Stuhls ab. Die Muskeln in seinen Unterarmen waren zum Zerreißen angespannt, doch er wirkte unschlüssig, beinahe hilflos, so als wüsste er nicht, wohin mit seiner Wut. Tony hätte am liebsten laut aufgelacht.
Das war es. Warum Tony und Pepper nicht funktioniert hatten, warum er mit niemandem wirklich funktionieren würde. Weil Tony eine Scheißangst hatte. Weil er Dinge – Menschen – kaputt machte und sie von sich stieß. Denn das war immer noch besser, als eines Tages alleine aufzuwachen und festzustellen, dass er es mal wieder vermasselt hatte. Die meisten hatten das rechtzeitig erkannt und die Flucht ergriffen, aber Steve ...
"Wenn ich die Situation falsch gedeutet habe, dann tut mir das Leid. Aber … halte mich für verrückt, aber ich glaube, du wolltest das auch. Diesen Kuss."
Steve hatte das Memo nicht bekommen, in dem stand "Halt dich von Tony Stark fern". Steve war stur wie ein Esel. Steve würde nicht einfach aufgeben, denn ein Captain America gab nicht einfach so auf, selbst wenn es ihn das Leben kostete. Buchstäblich.
Und was noch schlimmer war: Steve glaubte an Tony. Immer noch.
"Lass gut sein, Cap."
"Du hast ... du hast Angst, nicht wahr?"
"Steve-"
"Kannst du mich nicht zumindest ansehen? Sieh mir in die Augen und sag mir, dass du das nicht wolltest, und ich lass dich in Frieden."
"Nein, verdammt nochmal."
"Warum?"
Weil alles, was ich sehe, Blut ist. Tony sprach es nicht aus, doch etwas in seinem Gesicht, in dem falschen Grinsen, das er aufgesetzt hatte, schien Steve als Antwort zu reichen. Sein Blick wurde weicher.
"Es tut mir Leid", sagte Steve und seine Finger klammerten sich so stark um die Lehnen, dass sie das Metall zum Ächzen brachten. "Es tut mir Leid, okay?" Er lehnte sich vor, stieß mit seiner Stirn beinahe gegen die von Tony und sein Atem war so heiß, so nah, dass Tony die Augen schloss. "Ich hätte das nie von dir verlangen dürfen."
Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Tatsache war, dass Tony es gar nicht erst so weit hätte kommen lassen dürfen. Er hätte es wissen müssen, er hätte eine Lösung finden müssen, irgendetwas. Thor hatte Recht gehabt: Es gab immer einen Weg. Nur Tony hatte keinen anderen gesehen. Er hatte versagt.
Ich hab dich im Stich gelassen.
"Hast du nicht", flüsterte Steve. Erst da wurde Tony klar, dass er das eben laut gesagt hatte. "Du hast nicht weniger getan, als worum ich dich gebeten habe. Mehr als das: Du hast mich gerettet."
Tony schnaubte abfällig und dieses Mal berührten sie sich, Stirn an Stirn, als Steve seine Hand in Tonys Nacken legte. Seine Finger waren so warm, dass sich das Gefühl wie eine Decke über Tonys gesamten Rücken ausbreitete.
"Das ist mein Ernst, Tony. Der Red Skull ... ich hatte eine Ahnung, aber jedes Mal, wenn ich es aussprechen wollte, hat mich etwas davon abgehalten. Es war wie eine Mauer, die ich nicht überwinden konnte." Ein feuchtes, leises Geräusch erklang, also ob Steve sich über die Lippen leckte. "Du hast es erkannt. Du hast ihn durchschaut und du hast eine Lösung gefunden, bevor es zu spät war. Danke."
Tony öffnete die Augen. Er wollte protestieren, aber Steve war so nah, seine Augen so azurblau, dass es unecht wirkte, und er war am Leben. Ein besserer Mann als Tony hätte sich jetzt zurückgezogen. Jemand, mit mehr Willenskraft und weniger Habgier, jemand, der wusste, was gut für andere war. Tony war kein solcher Mann. Tony lehnte sich vor und nahm sich, was er schon so lange haben wollte, scheiß auf die Konsequenzen.
Er hatte den Geschmack von Blut erwartet, doch Steves Lippen waren einfach nur warm, so warm wie die Hand in seinem Nacken, so warm wie der Rest, der sich ihm entgegen drängte. Tony brummte, ein zufriedenes Geräusch tief aus seiner Kehle, dann öffnete er die Lippen und Steve tat es ihm nach.
Steve küsste, wie er alles tat: voller Hingabe und mit einer Ernsthaftigkeit, die Tony nicht in Worte fassen konnte. Selbst als der Kuss tiefer wurde, eine Spur gieriger und verzweifelter, war da dieses Gefühl von Selbstkontrolle, über sich, seine übermenschliche Stärke, das Tony mehr anmachte, als es sollte. Seine Hand fuhr wild durch Steves Haare, zerstörte mit Sicherheit den sorgfältig hingekämmten Seitenscheitel. Tony empfand einen Funken stolzer Zufriedenheit bei dem Gedanken. Er tastete blind nach Steves Hosenbund, wollte ihn greifen und näherziehen, doch stattdessen streiften seine Finger über die Beule in Steves Hose und oh, oh. Steve gab einen Laut von sich, ein leises Wimmern, das direkt durch Tonys Eingeweide in seine Leistengegend fuhr.
"Tut mir Leid", stammelte Steve zwischen zwei Küssen, atemlos und knallrot und verdammt, wie hatte Tony jemals ohne diesen Anblick überleben können? "Ich wollte nicht- du muss nicht-"
"Steve, bist du wahnsinnig?", keuchte Tony empört. Er legte seine Hand an Steves Hüfte und zog ihn an sich, wirklich an sich, bis Steve beinahe auf seinem Schoß saß und ihre Unterleiber dicht aneinander gepresst waren. Wenn Steve glaubte, er wäre der einzige mit einem Ständer, dann hatte er falsch gedacht. Der Laut, der dieses Mal aus Steves Kehle kam, war alles andere als leise und schon gar nicht beherrscht. Er grollte, rollte sein Becken gegen das von Tony und drückte ihre Lippen zu einem weiteren Kuss aufeinander. Der Stuhl quietschte bedrohlich unter ihrem Gewicht.
"Halt, warte – der Stuhl – mein Bein ..." Tony wollte noch mehr sagen, aber da hob ihn Steve in einer fließenden Bewegung aus dem Stuhl hoch. Instinktiv schlang Tony sein gesundes Bein um Steves Taille, doch das war nicht wirklich nötig. Steve konnte ihn mühelos hinüber zu dem Klappbett tragen, auf dem Tony schlief, wenn es mal wieder zu lange in der Werkstatt geworden war. Tonys Libido war eingehend beeindruckt.
"Heilige Scheiße, Steve", plapperte er, während er Steves sauber gebügeltes Hemd aus der Hose riss und dabei ordentlich zerknitterte. "Hast du eine Ahnung, wie heiß das ist, dass du mich tragen kannst? Sex gegen eine Wand, Steve, Sex gegen eine Wand, hast du darüber schonmal nachgedacht, weil-"
Steve biss ihn sanft in die Stelle, wo sich Hals und Schulterblatt trafen, und oh, fuck, Gehirnstopp.
"Wenn dein Bein verheilt ist", murmelte Steve gegen Tonys Hals und schob seinen Daumen unter Tonys Hosenbund, strich mit dem Daumen über die Haut an seiner Hüfte. Wenn das kein Versprechen war, dann wusste Tony auch nicht.
Seine Hände flogen über Steves Hemdknöpfe, zerrten so ungeschickt daran, dass er sich vorkam wie ein Schuljunge vor seinem ersten Mal. Er versuchte sich zu konzentrieren – ein Knopf, dann der nächste, wieder einer … Tony hielt inne.
"Steve, das-", hauchte er, wusste aber nicht, wie er den Satz beenden sollte.
Ein breiter Wundverband verdeckte die OP-Narbe direkt über dem Herzen. Das war nicht das Schlimme. Das Schlimme war die Fläche darum herum: angeschwollene, Falten schlagende, rosa Haut, die erst vor kurzem verheilt war und aussah, als würde sie zu einer gigantischen Narbe werden. Eine annähernd kreisrunde Narbe, dort wo der Unibeam ihn getroffen hatte.
"Ist es-", fing Tony an, doch er wusste noch immer nicht, was er sagen wollte.
"Die Docs sagen, der Effekt des Serums ist nicht ganz verschwunden. Es funktioniert noch, sonst wäre das hier nicht so schnell verheilt. Aber … es ist an dieser Stelle bedeutend langsamer. Und es ist unklar, ob und wann es wieder seine volle Wirkungskraft erlangt."
"Und das hier ..."
"Die Narbe bleibt. Fürs erste."
Tony hielt die Hand direkt über Steves Brust, unsicher, ob er sie anfassen sollte. Narben schreckten ihn nicht ab, nicht mit dem feinen Geäst von Linien, das seinen eigenen ARK-Reaktor umgab. Es war nur die Tatsache, dass es sein Werk war, die ihm Angst einjagte. Er hatte viele Leute verletzt, doch das war das erste Mal, dass es einen realen Beweis dafür gab.
"Es ist okay." Steves Hand legte sich über seine und zog sie sanft auf seine Brust. Tony fühlte die Folie des Wundverbands unter seinen Fingerspitzen und die Wärme von Steves Haut erinnerte ihn an Blut. (Warmes Blut, überall, es klebt an seinen Händen, an Steves Uniform, auf seinen Lippen-) "Es ist in Ordnung, Tony. Wir kämpfen. Wir werden verwundet. Manchmal bleiben Narben zurück."
Und Tony wollte es noch immer nicht glauben, aber das war okay. Vielleicht würde er es niemals glauben. Clint hatte Recht: Das Blut würde immer da sein. Wenn Steve ihn ansah, wenn er lachte, wenn er ihn küsste. Aber vielleicht konnte Tony lernen, damit zu leben. Weil es eine Notwendigkeit war.
"Wenn es dich tröstet: Du bist immer noch unverschämt heiß, selbst mit Narbe."
Er konnte das Beben von Steves Körper unter seinen Fingerspitzen fühlen, als dieser auflachte. Das Funkeln in seinen blauen Augen hatte etwas Verschmitztes an sich und das Raunen in seiner Stimme fuhr wie ein Blitz durch Tonys Unterleib. "Findest du?"
"Oh ja", murmelte Tony heiser und seine Lippen hingen wieder einmal dicht vor Steves, als würden sie magisch von ihnen angezogen. "Aber Steve. Bitte-"
Er wollte sagen: Bitte verlang das nie wieder von mir. Ich werde es nicht noch einmal tun, selbst für dich. Aber er tat es nicht. Stattdessen sagte er es noch einmal – "bitte" –, bäumte sich auf bis ihre Becken wieder gegeneinander drückten und schob Steve das Hemd von den Schultern.
Zum Glück trug Tony seit dem Krankenhaus ohnehin nur schäbige alte Jogginghosen, weil die einfacher über sein ruhig gestelltes Bein zu ziehen waren. Steve half ihm dabei, sie herunterzuziehen, bevor er sich hektisch die eigene Hose samt Boxerbriefs herunterzog, gerade so weit, dass seine Erektion frei war.
"Sieh dich an", hauchte Tony und stellte begeistert fest, dass Steve unter seinem Blick errötete "Du bist umwerfend."
Einen kurzen Moment lang wirkte Steve unschlüssig und Tony fragte sich, wie erfahren er wirklich in solchen Dingen war. So oder so gab es eine Menge Dinge, die Tony mit ihm vorhatte, sobald er die Gelegenheit dazu bekam. Er wollte wissen, mit welchen Worten und Berührungen er ihn zum Erröten bringen konnte, wollte wissen, was er ihm ins Ohr flüstern konnte, bis Steve sich unter ihm wand, wollte Steve in die Matratze ficken und er wollte gefickt werden, so oft und so eingehend, dass er hinterher nicht mehr richtig stehen konnte.
Ein andermal, versprach Tony sich selbst, ließ sich zurückfallen und zog Steve mit sich. Sie atmeten beide scharf ein, als ihre harten Schwänze aneinander rieben. Für heute musste es reichen, wie Steve sich hinunterbeugte und die Haut um den ARK-Reaktor küsste. Für heute musste es reichen, wie Tony über Steves Hals leckte und eine Spurt von Bissen hinterließ. Heute ging es um etwas anderes. Alles, was sie taten, waren Worte, ein Versprechen, eine Versicherung. Ein "Ich bin am Leben". Ein "Es tut mir Leid". (Dass ich das von dir verlangt habe. und Dass ich es tatsächlich getan habe.)
Dieses Mal war es Tony, der seine Hand über die von Steve legte und nach unten führte. Steve griff nach ihren Schwänzen und der Kontakt war atemberaubend. Er fing an, ihnen gleichzeitig einen runterzuholen, zögerlich zuerst, aber nachdem Tony ihm ein "Ja, genau so" ins Ohr keuchte, wurde der Griff fester, schneller, härter und oh Gott, ja, ja, ja.
Tonys Körper war so angespannt, dass er das Ziehen bis in sein Bein spürte. Es kümmerte ihn nicht. Er quasselte und bettelte, als ob sein Leben davon abhing, gab zusammenhangloses Zeug von sich wie "Fuck" und "du solltest dich sehen, Steve, so verdammt geil" und "Gott, das nächste Mal will ich dich besinnungslos ficken". Die Röte in Steves Gesicht kroch tiefer, über seinen Hals und seine Brust. Tony konnte nicht einmal sagen, ob es vor Scham oder Erregung war, aber es war großartig. Er wusste, dass er nicht lange durchhalten würde. Genauso wenig wie Steve, dessen Haut so heiß unter seinen Händen war, dass sie fiebrig wirkte.
Steve keuchte seinen Namen – "Tony", immer wieder nur "Tony" – und es lang etwas so Eindringliches darin, dass es Tony die Luft wegnahm. Er hielt sich an Steve fest und als er kam, heiß, hart, war da eine Pause. Ein Moment der Stille, in der nur Tonys schauderndes Ein- und Ausatmen zu hören war, sein leises Wimmern, als Steves Daumen noch einmal über seine überempfindliche Spitze rieb. Tony öffnete die Augen. Und Steve sah ihn an, mit seltsam verwundertem Blick, seufzte kurz und leise auf. Es war ein kleiner Augenblick, in dem die Zeit stehen zu bleiben schien, bevor Steve seine Hand wieder bewegte. Ein-, zwei-, dreimal, dann kam auch er und vergrub sein Gesicht mit einem erstickten Laut an Tonys Schulter.
Eine Zeit lang war nur das leise Keuchen ihres Atems zu hören. Das Hämmern von Tonys Herz in seiner Brust. Dass leise, stetige Summen des ARK-Reaktors. Steve hing schwer atmend in seinen Armen und wirkte, als ob er sich nie wieder bewegen wollte.
Es war nicht mehr als ein Augenblick, ein verrückter Gedanke, der durch Tonys Gehirn schoss, aber auf einmal war da Angst. Das Gefühl, dass Steve vielleicht nicht mehr die Kraft hatte, sich zu bewegen, dass er Tony nie wieder ansehen würde (-denn das Loch in seiner Brust ist zu groß und er heilt einfach nicht, wenn er es nicht schafft, dan ist es Tonys Schuld, warum heilt er nicht-). Doch schließlich sah Steve auf, mit Augen so blau wieder Himmel (nicht schwarz, niemals mehr schwarz), fuhr mit seiner linken Hand durch Tonys verschwitzte Haare und lächelte.
"Schön dich zu sehen Tony."
Epilog
Das Klappbett war kleiner als das, was Tony normalerweise in seinen Schlafzimmern stehen hatte. Aber weil er Tony Stark war und weil er es sich leisten konnte, war dieses Klappbett immer noch groß und weich genug, damit sie beide bequem Platz darauf hatten. Natürlich mussten sie ein bisschen quetschen und schieben: Steves Oberarm wurde von ihm als Kissen missbraucht und ihre Beine waren auf eine Weise ineinander verschlungen, die von außen betrachtet womöglich unbequem wirkte. Sein verletztes Bein würde es ihm später heimzahlen, doch Tony hätte nicht einmal im Traum daran gedacht sich darüber zu beschweren.
"Weißt du, was ich mich frage?", sagte Steve leise, während er den Arm um Tony legte und ihm das Gefühl gab, in einem riesigen Kokon aus Wärme zu liegen. Das Gefühl war neu für Tony, aber er mochte es. "Warum ich? Ich war doch bestimmt nicht der erste, der den Tesserakt direkt berührt hat."
"Ich habe die Theorie, dass es am Superserum lag. Dadurch, dass ihr beide einer ähnlichen Prozedur unterlaufen seid, hat sich auch eure Zellstruktur geähnelt. Schmidts Geist muss darauf angesprungen sein." Tony brummte nachdenklich. "Aber wer kann das schon so genau sagen? Der Tesserakt ist im Grunde immer noch Magie. Und Magie werde ich wohl nie ganz verstehen."
Eine Weile lagen sie da, schweigend und ineinander verschlungen, und Tony wäre wohl eingedöst, wenn er nicht gemerkt hätte, wie angespannt Steve in seinem Rücken war. Er drehte sich um, bis sie Brust an Brust lagen und er Steve ins Gesicht sehen konnte. "Ich kann dich denken hören, Steve."
"Ich habe das Gefühl, dass ich nie wieder einschlafen werde", gab Steve leise zu. "Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich das will."
Tony wusste, was er meinte. Er wünschte, es wäre nicht so, aber nach Afghanistan wusste er genau, was Steve meinte. Manchmal war die Angst vor dem Einschlafen größer, als alles, was der Verstand einem im Traum entgegen werfen konnte.
Tony hatte nicht viel zu geben und er wusste selbst jetzt nicht so genau, was Steve in ihm sah. Aber er hatte Worte, und davon mehr als genug. Also begann er zu erzählen.
Er erzählte von Gamma-Strahlung, Programmiersprachen und Schwarzen Löchern. Er erzählte von vielen Dingen, die alle keinen Sinn ergaben, wenn man nicht mindestens einen Doktor in Naturwissenschaften hatte. Eine Gutenachtgeschichte, die so furchtbar langweilig war, dass sie Steve zum Schmunzeln brachte, noch während seine Lider schwerer wurden. Aber das machte nichts. Denn die Worte, spielten keine Rolle. Es war nur wichtig, was sie bedeuteten (nämlich "Ich bin da" und "Wir sind am Leben" und, was am wichtigsten war, "Es ist vorbei ").
Als Steve langsam die Augen zufielen und er etwas murmelte, das "Danke" oder "Bleib hier" oder auch "Tony" hätte sein können, strich Tony durch dessen Haare und küsste die Linien der Narbe auf dessen Brust.
"Schlaf, Steve. Ich bin hier."
Es war ein Flüstern, eine Berührung in der Dunkelheit und ein Versprechen.
"Schlaf."
- Ende -
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Fandom: The Avengers (MCU)
Pairing: Steve Rogers/Tony Stark
Rating: R (NC-17 für das letzte Kapitel)
Language: Deutsch/German
Wortanzahl: 45.242
Einstufungen/Warnungen: Mystery, Drama, Angst, Slash
Beta:
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Disclaimer: Das Avengers-Universum gehört Marvel und jegliches Copyright liegt bei ihnen. Ich habe mir lediglich die Charaktere ausgeliehen, um ein bisschen mit ihnen zu spielen. Ich mache hiermit kein Geld.
Prolog | Kapitel 1: Wahrscheinlichkeiten | Kapitel 2: Finsternis | Kapitel 3: Schlaflos | Kapitel 4: Vertigo | Kapitel 5: Stille | Kapitel 6: Sturm | Kapitel 7: Narben | Epilog
AO3 | FF.de
Fanart-Masterpost von
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Kapitel 7: Narben
Ich möchte jemanden einsingen,
bei jemandem sitzen und sein.
Ich möchte dich wiegen und kleinsingen
und begleiten schlafaus und schlafein.
Ich möchte der Einzige sein im Haus,
der wüsste: die Nacht war kalt.
Und möchte horchen herein und hinaus
in dich, in die Welt, in den Wald.
Die Uhren rufen sich schlagend an,
und man sieht der Zeit auf den Grund.
Und unten geht noch ein fremder Mann
und stört einen fremden Hund.
Dahinter wird Stille. Ich habe groß
die Augen auf dich gelegt;
und sie halten dich sanft und lassen dich los,
wenn ein Ding sich im Dunkel bewegt.
- Zum Einschlafen zu sagen, Rainer Maria Rilke
Er erwachte auf einer steril weißen Liege in einem steril weißen Zimmer der Notaufnahme. Über ihm blendete eine steril weiße Neonbirne seine Sicht und der Geruch von Desinfektionsmitteln hing ihm in der Nase.
"JARVIS?"
Keine Antwort. Jemand hatte ihm mit Gewalt den Helm vom Kopf gerissen und seinen Ohrhörer entfernt. Man hatte außerdem die Rüstung um sein Bein herum aufgeschnitten. Es war kein offener Bruch, so viel konnte er mit seinem begrenzten medizinischen Wissen erkennen, aber es hatte nicht viel dazu gefehlt. Offenbar hatte er Glück gehabt.
Sein Blick wanderte zum ARK-Reaktor, dessen Leuchten ein Stück matter als sonst war. Nichts Lebensbedrohliches. Dennoch ein Anzeichen dafür, dass er bald an einen Ersatzkern denken sollte. Fast die gesamte Energie war für den Unibeam drauf gegangen, mit dem er Schmidt vertrieben hatte und- Oh. Oh.
Scheiße, dachte er, und dann: Steve.
Steve und ein Kuss und jede Menge Blut.
Sein Magen machte einen Satz, der Tony ans Fallen erinnerte. Fallen, ohne Auffangnetz und ohne Repulsoren, Fallen mit einem harten Boden am Ende, Fallen, Fallen, Fallen. Obwohl er lag, wurde ihm schwindelig. Alles war so zähflüssig und die Luft wurde dünn.
"Hey", krächzte er. "Hört mich jemand?"
Vorhänge raschelten, Türen klapperten. Eine brünette Krankenschwester versorgte seine kleineren Wunden und Kratzer. Tony versuchte sie nach Steve zu fragen – "Großer Kerl mit Bodybuilder-Figur und Dackelblick, nationaler Held, großes Loch in der Brust?" – doch entweder wusste sie nicht Bescheid oder hatte Befehl zu schweigen. Als er Anstalten machte, alleine aufzustehen, bedachte sie ihn mit einem Blick, der nicht unbedingt feindselig war, doch ihre Hand wanderte zu einer Spritze auf dem Nebentisch, die ganz sicher mit einem weiteren Betäubungsmittel gefüllt war. Tony lehnte sich auf die Liege zurück.
Irgendwann ging die Schwester. Dafür kam Hill zu ihm ins Zimmer und machte ihn zur Schnecke, allein wegen der 72 Sicherheitsverstöße, die er begangen hatte, ganz zu schweigen von der Gefährdung eines nationalen Helden und der neuerlichen Zerstörung eines Großteils von Manhattan. Er ließ es über sich ergehen, wie er alles über sich ergehen ließ in seinem Delirium aus Betäubungsmitteln und Schock. Die Welt war ein schlechter Horrorfilm mit Wattebauschfilter. Er dachte daran, wie Steve über ihm zusammengebrochen war und grinste, weil er sonst geschrien hätte. Hill ohrfeigte ihn.
Bruce - Bruce? Wo kam Bruce her? -, eingewickelt in eine Wärmedecke, ging dazwischen und redete auf Hill ein.
"Kann ich ihn sehen?", fragte Tony mit schwerer Zunge, doch niemand hörte ihm zu.
"Sie haben kein Recht darüber zu urteilen, wie wir gehandelt haben-"
"Wenn er stirbt, ist es Ihre Schuld-"
"Er wollte die Hilfe von SHIELD nicht-"
Wenn er stirbt. Panik schnürte Tony die Kehle zu. Er begann mit den Fingern zu tippen und erst da fiel ihm auf, dass sie ihm etwas noch nicht weggenommen hatten: die Handschuhe.
Es gibt eine Sache, die seine Entführer in Afghanistan und Obie und SHIELD und alle Firmenhaie der Welt immer wieder übersehen: Wenn man Tony Stark in die Enge trieb, dann tickte er irgendwann aus und wehrte sich. Tony war ein Genie. Die Ausmaße von "sich wehren" konnten verdammt verheerend sein.
Der Repulsorstrahl jagte ein Gerät in die Luft, das bestimmt sehr teuer gewesen war. Während es zischend seine letzten, elektronischen Atemzüge aushauchte, richteten sich alle Blicke auf Tony. Eines musste er Hill lassen: Weder zuckte sie zusammen, noch sah sie schockiert aus. Aber ihre hochgezogene Augenbraue machte Natashas Todesblick Konkurrenz.
Tony wackelte mit den Fingern und ließ den Repulsor abermals aufleuchten.
"Bringt mich zu ihm."
*
Das Krankenhaus war eindeutig eine SHIELD-Einrichtung, denn in regelmäßigen Abständen liefen sie Leuten in Anzügen und mit Bluetoothsets im Ohr über den Weg. Die Fenster waren ein- und ausbruchssicher. Niemand störte sich an Tony, der wie eine aufgeschnittene Konservendose herumhinkte und dabei von einem Kerl mit zerrissenen Klamotten gestützt wurde. Selbst dann nicht, als er und Bruce Zugang zur Operationsabteilung verlangten.
Natasha und Clint waren da. Beide mit finsteren Mienen und eingedeckt mit Pflastern und Verbänden, aber ansonsten unversehrt. Thor war nirgends zu sehen. Tony fragte nicht. Nicht, nachdem Natasha zur Tür nickte, die zu Steves OP-Saal führte. Tony schluckte den Impuls hinunter einfach hinein zu stürmen. Es gab ein paar bescheuerte Dinge, die selbst er nicht tat.
"Was passiert da drin?"
Bruce begann etwas von einer Quetschung des Herzmuskels, Kammerflimmern, hohem Blutverlust und chirurgischen Eingriffen zu erzählen. Es waren Dinge, die Tony nicht wirklich wissen wollte, aber wissen musste. Weil es seine Schuld war, dass Steve jetzt da drin lag. Scheinbar hatte nicht viel gefehlt, dass Steve ihnen beinahe auf dem Weg zum Krankenhaus weggestorben wäre. Scheinbar war er noch nicht über den Berg.
"Es ist nicht so, dass seine Heilung überhaupt nicht mehr funktioniert." Bruces Brille funkelte und glänzte im Licht der Neonröhren, so oft hatte er sie bereits poliert. "Nur im Bereich, wo der Reaktorstrahl ihn getroffen hat ..."
Tony kannte Bruce gut genug, um das herauszulesen, was er ihm nicht erzählte: Schmidt. Der Red Skull hatte seine Spuren hinterlassen, musste etwas in Steve verändert haben. Ob es nun Magie oder Strahlung war, zusammen mit der Energiesignatur des Reaktors hatte das ausgereicht, um die Zellregeneration des Serums aufzuheben.
"Wie lange sind sie schon da drin?"
"Eine knappe Stunde", meinte Clint.
"Wie lange wird es noch dauern?"
Keiner antwortete.
Tony humpelte zu einem der Plastikstühle, bis ihm klar wurde, dass der Sitz das Gewicht seiner Rüstung nicht tragen würde. Kurzerhand ließ er sich auf den Boden sinken. Die Betäubungsmittel ließen allmählich nach und sein Bein brannte von der Hüfte abwärts wie Feuer.
"Du hast das Richtige getan", sagte Bruce leise, doch er polierte dabei weiter seine Brille.
Tony ballte die Hände zu Fäusten und schwieg. Bruce mochte ihn von allen am besten kennen, doch manchmal sagte selbst er das Falsche.
*
Steve überlebte.
Mehr gab es dazu nicht zu sagen und es war alles, was für Tony zählte.
*
Steve wachte nicht auf.
Tony wollte dem zuständigen Arzt ins Gesicht schlagen, doch er beschränkte sich auf einen vernichtenden Blick, der den Kerl tatsächlich einschüchterte. Das oder Natasha, die mit verschränken Armen hinter Tony stand.
"Warum?"
"Das wissen wir selbst nicht so genau. Es ist ein Wunder, dass er den Angriff überlebt hat-", der Doc sah von seinem Klemmbrett hoch und fing weitere giftige Blicke auf, bevor er hinzufügte, "-sowie den Noteingriff. Geben Sie ihm Zeit. Warten ist jetzt das einzige, was ich Ihnen raten kann."
Also warteten sie. Wieder einmal.
Ob der, der danach aufwachen würde, tatsächlich wieder Steve war, blieb eine unausgesprochene Frage, die über ihnen hing wie ein Damokles-Schwert. Tony war sich sicher (zu 99,8733 Prozent sicher), dass Schmidt weg war. Der Red Skull hätte vieles getan, um mit ihm zu spielen und ihn zu täuschen, aber Knutschen gehörte nicht dazu. Außerdem war da noch dieser furchtbare Blick in seinen himmelblauen Augen gewesen, den Tony wahrscheinlich nie wieder vergessen würde.
"Schön dich zu sehen, Tony."
Trotzdem hielten stets mindestens zwei SHIELD-Agenten Wache vor Steves Zimmer.
Tonys Oberschenkelfraktur musste operiert werden. Er willigte nur deshalb in den Eingriff und den Krankenhausaufenthalt ein, weil es so einfacher war, bei Steve zu bleiben.
Die anderen kehrten nach zwei Tagen zum Stark Tower zurück und nahmen das, was von der Rüstung noch übrig war, gleich mit. Einen halben Tag und eine Bein-OP später kam Bruce wieder, um zusammen mit Tony die erste Wache auf der Intensivstation zu halten. Danach kam Clint, dann Natasha, dann fing das ganze von vorne an.
Pepper rief an, um ihn anzuschreien. Was er sich dabei gedacht habe, ob er eine Ahnung hatte, was für ein PR-Desaster das für Stark Industries war (das war gelogen; SI hatte bereits viel schlimmere Desaster gemeistert), ob er endgültig und vollkommen den Verstand verloren hatte. Dazwischen machte sie immer wieder kleine Pausen, um ihrem genervten Seufzen mehr Geltung zu verleihen, und da wusste Tony, dass sie wieder in Ordnung kommen würden. Trennung hin oder her, diese Sache, diese Freundschaft zwischen ihnen würde ihnen nie abhanden kommen. Es war ein kleiner Trost in einer Aneinanderreihung von endlosen Tagen, die aus Warten bestanden.
Wie durch ein Wunder - oder einer massiven Intervention seitens SHIELD - hielt sich die Berichterstattung über Steves "Unfall" zurück. Tony war es einerlei. Er redete kaum und schlief noch weniger. Doch er fragte eine der Krankenschwestern, ob sie ihm eine Flasche Scotch ins Zimmer schmuggeln könnte. Sie sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren.
Von Natasha erfuhr er, dass Loki noch immer auf freiem Fuß war. Thor schickte Grüße an den Captain, hatte sich aber auf die Suche nach Loki begeben und war bis heute nicht zurückgekehrt. Sie schwiegen und schienen beide das gleiche zu denken: Dass Thor seinen Bruder nicht finden würde, wenn er nicht gefunden werden wollte.
"Du hast ihn laufen lassen." Natasha brachte es fertig, selbst beim Trinken von Automatentee aus einem Pappbecher graziös auszusehen. "Dabei hat er uns alle reingelegt."
"Hat er das?", fragte Tony und war sich selbst nicht sicher. Der Mann ohne Herz. Jedes von Lokis Worten war durchdacht, hatte eine Intention. War dieser Satz nur eine gezielte Beleidigung gewesen oder hatte der Lügengott am Ende doch seinen Teil der Abmachung eingehalten? "Ich glaube er hat einfach nur mit uns gespielt."
"Und mit Schmidt." Er sah von seinem Verband auf, an dem er herumgezupft hatte, und kam in den seltenen Genuss eines Lächelns von Natasha. Kein großes Lächeln, und auch nicht besonders froh, aber es war echt. "Ich kenne solche Kerle wie Loki. Unter der ständigen Beobachtung in Asgard muss er sich zu Tode gelangweilt haben. Er nutzt die Gelegenheit für ein bisschen Unterhaltung, begleitet Thor und trifft prompt auf Schmidt – einen Nazi, der besessen von Nordischer Mythologie ist. Eine amüsante kleine Kreatur. Also schlägt er ihm einen Pakt vor, doch Loki hat niemals vor ihn einzuhalten. Er will nur Chaos, und eine Möglichkeit Thor zu entwischen."
"Und alles, was folgt, ist eine große inszenierte Show zu seiner Bespaßung."
Natasha nickte. "Und du und Steve, ihr wart seine Hauptattraktion. Schmidt hat ihn nie interessiert."
Es klang einleuchtend und Tony beschloss, es zu glauben. Selbst wenn es nicht stimmte – sie hatten Loki bestimmt nicht zum letzten Mal gesehen. Vielleicht würde er ihn das nächste Mal fragen.
Sie schwiegen weiter, während ein Herzmonitor schwach vor sich hinpiepste.
Steve war an so vielen Geräten und Schläuchen angeschlossen, dass Tony jedes Mal einen Moment brauchte, um sein Gesicht dazwischen auszumachen. Seine Haut - zumindest das, was davon zu sehen war - war kreideweiß, seine Wangen wirkte eingesunken.
Es erinnerte Tony daran, wie er Steve für ihre erste Schlafuntersuchung vorbereitet hatte. Damals hatte Steve ähnlich ausgesehen: ähnlich verkabelt, ähnlich verloren, aber nicht so ... nicht so, als wäre er gar nicht wirklich da. Wie ein Geist, der zwischen den Welten hing und sich noch nicht entschieden hatte, wo er hingehörte.
War Steve nicht einmal derjenige von ihnen gewesen, der nicht so einfach sterben konnte?
Tja. Tony hatte schon immer ein Händchen dafür gehabt alles kaputt zu machen, was er anfasste. Selbst, wenn es Captain America war.
*
Nach acht Tagen, vier Stunden, 56 Minuten und dreizehn Sekunden wachte Steve zum ersten Mal wieder auf. Es war nur ein kurzes Flattern seiner Augenlider, ein gemurmeltes Wort, das niemand verstand. Danach rutschte er in einen richtigen Schlaf zurück. Die Ärzte meinten, von jetzt an würde es bergauf gehen.
Tony verließ das Krankenhaus noch am selben Tag.
Er ließ sich von Happy abholen, fuhr mit seinem privaten Fahrstuhl direkt in seine Werkstatt und tat das, was er sich bereits seit Lokis Auftauchen versprochen hatte: Er befasste sich eingehend mit dem Inhalt seiner Bar. Eingehend bedeutete, dass die erste Flasche Scotch bereits zur Hälfte leer war, als ihm einfiel, dass er noch immer auf Schmerzmitteln war. Tony starrte auf die Flasche in seiner Hand und beobachtete, wie die Buchstaben auf dem Etikett vor seinen Augen zu tanzen begannen. Schmerzmittel. Na sowas. Er kippte ein weiteres Viertel der Flasche hinunter, schlicht aus Trotz.
Steve würde mich umbringen, wenn er das wüsste, dachte er.
Hielt inne.
Und fing an zu lachen.
Es war ein Glucksen, das sich aus seiner Kehle bahnte und dann lauter wurde, so laut und so verzweifelt, bis ihm die Luft weg blieb. Bis ihm die Tränen kamen. Bis er von seinem Bürostuhl herunterrutschte und unsanft auf dem Boden landete. Schmerz schoss durch seinen Oberschenkel und er japste nach Luft, aber er lachte noch immer weiter.
Dummy fuhr sirrend näher, klickte fragend vor sich hin und bot ihm seinen Arm an.
"Blöder Roboter", lallte Tony und schob ihn weg.
Tony sollte sein Bein so oft wie möglich hochlegen und schonen, doch er wusste schon jetzt, dass das eher eine utopische Wunschvorstellung der Ärzte bleiben würde. Man hatte ihm Krücken gegeben, die er jetzt misstrauisch beäugte. Er würde sich etwas besseres bauen müssen. Etwas mit Verstand, das sich seinen Bewegungen anpassen würde. Etwas, von dem man gar nicht bemerkte, dass man es trug. Wenn er mit Pepper redete, könnte man daraus einen neuen Geschäftszweig eröffnen: Prothesen, Gehhilfen, Dinge, die Menschen halfen.
Gleich morgen.
Für heute reichte ihm der Boden. Der Boden war einfach und solide und sicher. Der Boden war das, wonach er sich gerade fühlte. Er erspähte die Scotch-Flasche, die mit ihm gefallen war und griff danach.
"Cheers", sagte er zu sich selbst und niemandem, bevor er sie leerte.
*
"Essen fassen!"
Jemand packte die Lehne von Tonys Bürostuhl. Er bekam einen Schubs, vollführte eine halbe Drehung auf seiner Fahrt von Holotisch zu Werkbank, bevor er dagegenfuhr und wackelnd zum Stehen kam.
"Was-"
"Essen fassen", wiederholte Clint und stellte ihm einen Teller vor die Nase. Darin dampfte eine Portion von Bruces sagenumwobenem Curry. Es roch köstlich. Jetzt, da Tony darüber nachdachte, fiel ihm auf, dass er wahrscheinlich die letzten 37 Stunden nichts mehr zu sich genommen hatte, außer Kaffe und Scotch. Trotzdem - oder gerade deswegen - zog sich ihm der Magen zusammen, als er an feste Nahrung dachte.
"Hat man dich geschickt?", fragte er misstrauisch.
"Nicht wirklich." Clint zuckte die Achseln. "Aber Bruce hat gekocht und ich dachte, das solltest du nicht verpassen."
"Danke", meinte Tony und schob den Teller ein Stück von sich. "Und warum bist du wirklich hier? Wie bist du hier überhaupt herein gekommen?"
"JARVIS hat mir die Codes gegeben."
"JARVIS!"
//Sie hatten angeordnet, niemanden hereinzulassen, es sei denn eine der Subroutinen würde ausgelöst. Subroutine 'Nahrungszufuhr' hat die Sperre bereits vor dreizehn Stunden aufgehoben. - Sir//, schob die KI hinterher wie die Pointe eines Witzes, den nur sie verstand. Es gelang JARVIS, dabei nicht allzu süffisant zu klingen.
"Verräter."
Clint pflanzte sich auf die Lehne eines Stuhls, die Füße auf die Sitzfläche gestellt. Die Position sah nicht nur unbequem sondern auch höchst instabil aus, doch Clint schien damit keine Probleme zu haben. Im Gegenteil schien er sich pudelwohl zu fühlen.
"Er hat nach dir gefragt, weißt du. Mehrmals", sagte er plötzlich und Tony blinzelte, bevor er den Blick abwandte.
"Hm."
"Es wäre einfacher, wenn du-"
"Keine Zeit. Im Gegensatz zu euch habe ich eine Firma, die ich mit Produkten versorgen muss." Tony ruderte mit den Armen, um sich in Bewegung zu setzen (seit der OP war alles ein bisschen komplizierter und umständlicher geworden), rollte sich zurück zum Holotisch und zog eines der leuchtenden Modelle zu sich heran, an denen er eben noch gearbeitet hatte. Er konnte Clints Blick in seinem Rücken spüren, doch er würde den Teufel tun und jetzt über seine Gefühle lamentieren. Er war in Ordnung, verdammt nochmal. Steve war derjenige, der halb tot im Krankenhaus lag.
"Natasha hat eine Narbe auf der Innenseite ihres rechten Oberschenkels. Ziemlich klein und blass, außer man weiß wonach man suchen muss", kam es auf einmal von Clint. "Die Narbe stammt von mir."
Tony hielt inne. Drehte sich um.
"Barton, das sind Dinge, die ich niemals wissen wollte", meinte er trocken, doch Clint ignorierte ihn.
"Es gibt eine Menge effiziente und elegante Möglichkeiten einen Menschen mit einem Schuss zu töten. Das Herz. Die Kehle. Aber ich schoss ihr damals in die Oberschenkelarterie. Man verliert durch so eine Wunde circa einen halben Liter Blut pro Minute. Ich habe ihr damit Zeit verschafft, genug Zeit für SHIELD, um sie festzunehmen. Trotzdem war sie halbtot, als man sie aufsammelte."
Tony zog die Augenbraue hoch. Clint schien keine Erklärung dafür bieten zu wollen, warum er Natasha damals angegriffen hatte. Er zog sein T-Shirt hoch und offenbarte eine weitere Narbe auf der linken Seite seines Brustkorbs, knapp unter der Armbeuge. "Durchschuss. Budapest, 2009. Tasha musste den Geiselnehmer ausschalten, der an mir klebte."
Tony besah sich die Narbe: Es war ein blasser, eingedellter Bereich, vielleicht münzgroß, und viel zu nahe an der Lunge. Wäre der Schuss ein paar Zentimeter weiter links gelandet, säße Clint jetzt wahrscheinlich nicht in Tonys Werkstatt.
"Läuft diese Ansprache auch auf etwas hinaus, Barton?", fragte er genervt und lehnte sich lässig in seinem Stuhl zurück.
"Dieses Blut, Stark, das wird immer an deinen Händen kleben. Da mache ich dir nichts vor. Du wirst es sehen, wenn du Cap die Hand schüttelst, und du wirst es sehen, wenn er dir vertrauensselig den Rücken zukehrt." Clints Stimme war so rau und hart wie Schmirgelpapier, aber seine Augen waren … warm. Verständnisvoll. "Denk daran, was passiert wäre, wenn du nicht geschossen hättest. Das macht es nicht okay. Nicht wirklich. Aber das macht es zu einer Notwendigkeit. Das macht es richtig. Es gibt Risiken, mit denen man leben muss. Steve ist Soldat und weiß das besser als jeder andere."
Wir sind keine Soldaten.
Tony erinnerte sich daran, wie er Steve angeblafft hatte und an die heiße Wut, die dabei durch ihn gefahren war. Er war nicht wütend auf Steve gewesen, nicht wirklich. Es war mehr die Bereitwilligkeit mit der Steve etwas zu akzeptieren schien, das Tony eben erst gelernt hatte: Wenn er Teil dieses Teams sein wollte, musste er mit Verlusten rechnen. Auch wenn sie direkt vor seiner Nase passierten. Auch wenn er nichts dagegen tun konnte. Auch wenn er sie selbst verschuldete. Steve hatte gewusst, dass solche Dinge passieren konnten, und dafür hatte Tony ihn ein bisschen gehasst.
Tony blickte zur Rüstung und sah das Blut, das an ihr geklebt hatte. Er hatte sie fünfmal reinigen lassen, doch er konnte die dunklen, eingetrockneten Flecken immer noch sehen. Clint hatte Recht: Sie würden immer da sein.
Schließlich räusperte sich Tony, und seine Hände zitterten leicht, als er nach der Scotch-Flasche neben sich griff, um den letzten Rest daraus zu leeren. Der Alkohol brannte seinen Hals hinunter, doch er spürte es kaum.
"Natasha bringt mich um, wenn sie erfährt, dass du mir das mit der Narbe erzählt hast, oder?", fragte er sachlich.
"Jupp." Clint grinste. "Uns beide. Langsam und qualvoll. Also wäre es besser, du hältst einmal in deinem Leben die Klappe, Stark."
Mit einem schnellen Satz, den Tony kaum mit den Augen nachvollziehen konnte, sprang er von der Stuhllehne herunter. Der Stuhl wackelte kurz, fiel aber nicht um. Kurz blieb Clint im Türrahmen der Werkstatt stehen.
"Er wird übermorgen entlassen."
Die Tür fiel mit einem leisen Klicken ins Schloss und Tony war wieder allein in der Werkstatt.
*
//Sir, vielleicht sollten Sie einfach Dummys Hilfe in Anspruch nehmen.//
JARVIS klang leicht gereizt, und das war noch nichts im Vergleich zu dem, was Tony empfand. Er hatte jetzt zum vierten Mal die Kneifzange bei einer umständlichen Bewegung fallen lassen. Sein Bein machte ihn wahnsinnig – nicht nur, dass Bruce ihn bald täglich zur Krankengymnastik schleppen wollte, es war ständig im Weg.
"Ganz bestimmt nicht! Erinnerst du dich noch an das Debakel von 2005? Die Renovierungsarbeiten haben Wochen gedauert. Außerdem dauert es nicht mehr lange und meine mechanischen Krücken sind fertig. Das heißt, wenn ich dieses verdammte Ding hier ..."
Er grummelte einen leisen Fluch, bevor er sich langsam von seinem Stuhl herunterbeugte und dabei eine akrobatische Höchstleistung vollbrachte, als er sich dabei noch zur Seite verbog. Natasha wäre stolz auf ihn gewesen. Die verdammte Zange war tief unter die Werkbank gerutscht und Tony musste sich so sehr strecken, dass er die Bewegung bis ins Bein spürte.
"Merke: Werkstatt Invaliden-freundlicher gestalten. Notier das, J."
JARVIS zögerte nur ein paar Sekunden, bis er mit einem "Verstanden" bestätigte, doch das reichte aus, um Tony stutzen zu lassen.
Er war nicht abergläubisch. Er glaubte auch nicht an einen sechsten Sinn, und was er von Magie hielt, wusste nun wirklich jeder. Aber er wusste es, er wusste einfach, dass Steve hinter ihm stand. Deshalb ließ er sich auch besonders viel Zeit, bevor er sich wieder aufrichtete. Deshalb ließ er den Blick gesenkt, als er sich wieder über seinen neuen Prototyp beugte. Deshalb klang seine Stimme auch so bestimmt neutral, als er sagte: "Ich dachte, man hat dich nach Hause gehen lassen."
Eine ganze Weile herrschte Schweigen. Nur das leise Klicken und Quietschen von Tonys Arbeit an den Drähten war zu hören. Dann ertönte ein Schnauben.
"Hat man auch. Der Stark Tower ist jetzt mein Zuhause." Tony tat so, als bemerkte er die Kränkung in Steves Stimme nicht. "Dachte ich zumindest."
"Oh, doch, natürlich. Der Tower gehört jetzt allen Avengers. Dafür sind die Suites ja da. Ich habe mich nur gefragt, was du dann hier in der Werkstatt machst. Solltest du dich nicht ausruhen?"
Wieder Stille. Vielleicht wägte Steve ab, ob er sich auf Tonys passiv-aggressives Spielchen einlassen sollte. Stattdessen landete ein förmlich aussehender, weißer Briefumschlag neben Tony auf der Werkbank. Sein Blick blieb daran kleben.
"Was ist das?"
"Deine Vorladung von SHIELD. Fury will eine offizielle Erklärung von dir zu dem, was passiert ist. Deine Zugehörigkeit zum Team wird in Frage gestellt. Ich hab ihnen gesagt, dass das Unfug ist. Dass es meine Entscheidung war. Und dass es unsere Entscheidung ist, wer zum Team gehört und wer nicht."
Tony war sich nicht sicher, ob der Rest des Teams genauso dachte. Thor war vor einigen Tagen zurückgekommen, ungewöhnlich schweigsam und missmutig. Er hatte kein Wort darüber verloren, ob er Loki gefunden hatte, doch sein Verhalten gegenüber Tony war … ruppig. Von allen schien er Tony die Sache am meisten übel zu nehmen.
Tony griff nach dem Umschlag, drehte ihn in den Händen, fühlte das raue Papier zwischen seinen Fingern. Eine Vorladung. Wollte Fury sich das wirklich antun? Nach allem, was Tony damals mit Senator Stern und Justin Hammer veranstaltet hatte? Bitte. Wenn er wollte. Das würde interessant werden.
"Sieh mich an, Tony."
Allerdings hatte Fury nicht Unrecht. Wie sollte man einer Truppe von Helden das Wohl der Menschheit anvertrauen, wenn man sich nicht einmal sicher sein konnte, dass sie sich nicht gegenseitig zerfleischten? (- und das Geräusch von Blut, das auf den Boden tropft, macht ihn fast wahnsinnig, das ist nicht in Ordnung, niemand sollte so stark bluten können und-) Vielleicht wurde es Zeit, wieder alleine zu kämpfen ...
"Sieh mich an!" Sein Stuhl wurde herumgewirbelt. Tony wusste nicht, was er erwartet hatte, aber sicher nicht diese Normalität. Steve in einem seiner altmodischen Karo-Hemden und den langweiligen Khaki-Hosen, die seinem Hintern einfach nicht gerecht wurden. Er sah gesund aus. Weder blass, noch unsicher auf den Beinen, noch abgemagert. Nur die sorgenvolle Falte zwischen seinen Augenbrauen verriet, dass etwas nicht in Ordnung war.
Tony leckte sich über die Lippen und glaubte Blut zu schmecken.
"Geht's dir gut?"
Es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass die Frage an ihn gerichtet war. Steve deutete auf Tonys Bein, das er vor sich ausgestreckt hatte. Reue vermischte sich unter die Besorgnis auf seinem Gesicht. "Ich hab dir das Bein gebrochen."
Ich hab dich fast umgebracht, dachte Tony und zuckte mit den Schultern.
"Ein bisschen mehr Metall in meinem Körper, sonst nichts. Ein Glück, dass ich einen eigenen Privatjet habe. Weißt du eigentlich, wie unglaublich penibel heutzutage die Sicherheitsvorkehrungen an Flughäfen sind? Rein theoretisch dürfte ich gar nicht an Bord eines Flugzeugs, weil der Reaktor eine potentielle-"
"Tony."
Tony hielt inne, sah hierhin und dorthin, aber nie ganz in Steves Augen. "Steve. Das sind unsere Namen. Schön, dass wir das geklärt haben."
Steve verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. Ah, das hatte Tony beinahe vermisst: Der patentierte "Deine bloße Existenz ist eine Enttäuschung"-Blick war wieder da. Auf Captain Americas Geringschätzung war immer Verlass.
"Soll es so also laufen? Wir schweigen die Sache tot, bis wir uns nicht mehr ansehen können?"
"Ich weiß nicht, Steve, im Moment kann von Schweigen keine Rede sein. Dafür ähnelt das Ganze zu sehr einem Kreuzverhör."
"Wir müssen darüber reden, Tony. Ich kann das nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Wir haben gegeneinander gekämpft und ich- ich habe dich geküsst." Ein schwacher Hauch von Röte machte sich auf Steves Wangen breit. Unter anderen Umständen hätte Tony es genossen.
"Ach, hast du? Bist du sicher, dass du das warst?"
Er wusste, dass er zu weit gegangen war, noch bevor er zu Ende gesprochen hatte. Ärger flammte in Steves Augen auf, und er beugte sich vor, dicht über Tony, und stützte die Arme auf den Lehnen des Stuhls ab. Die Muskeln in seinen Unterarmen waren zum Zerreißen angespannt, doch er wirkte unschlüssig, beinahe hilflos, so als wüsste er nicht, wohin mit seiner Wut. Tony hätte am liebsten laut aufgelacht.
Das war es. Warum Tony und Pepper nicht funktioniert hatten, warum er mit niemandem wirklich funktionieren würde. Weil Tony eine Scheißangst hatte. Weil er Dinge – Menschen – kaputt machte und sie von sich stieß. Denn das war immer noch besser, als eines Tages alleine aufzuwachen und festzustellen, dass er es mal wieder vermasselt hatte. Die meisten hatten das rechtzeitig erkannt und die Flucht ergriffen, aber Steve ...
"Wenn ich die Situation falsch gedeutet habe, dann tut mir das Leid. Aber … halte mich für verrückt, aber ich glaube, du wolltest das auch. Diesen Kuss."
Steve hatte das Memo nicht bekommen, in dem stand "Halt dich von Tony Stark fern". Steve war stur wie ein Esel. Steve würde nicht einfach aufgeben, denn ein Captain America gab nicht einfach so auf, selbst wenn es ihn das Leben kostete. Buchstäblich.
Und was noch schlimmer war: Steve glaubte an Tony. Immer noch.
"Lass gut sein, Cap."
"Du hast ... du hast Angst, nicht wahr?"
"Steve-"
"Kannst du mich nicht zumindest ansehen? Sieh mir in die Augen und sag mir, dass du das nicht wolltest, und ich lass dich in Frieden."
"Nein, verdammt nochmal."
"Warum?"
Weil alles, was ich sehe, Blut ist. Tony sprach es nicht aus, doch etwas in seinem Gesicht, in dem falschen Grinsen, das er aufgesetzt hatte, schien Steve als Antwort zu reichen. Sein Blick wurde weicher.
"Es tut mir Leid", sagte Steve und seine Finger klammerten sich so stark um die Lehnen, dass sie das Metall zum Ächzen brachten. "Es tut mir Leid, okay?" Er lehnte sich vor, stieß mit seiner Stirn beinahe gegen die von Tony und sein Atem war so heiß, so nah, dass Tony die Augen schloss. "Ich hätte das nie von dir verlangen dürfen."
Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Tatsache war, dass Tony es gar nicht erst so weit hätte kommen lassen dürfen. Er hätte es wissen müssen, er hätte eine Lösung finden müssen, irgendetwas. Thor hatte Recht gehabt: Es gab immer einen Weg. Nur Tony hatte keinen anderen gesehen. Er hatte versagt.
Ich hab dich im Stich gelassen.
"Hast du nicht", flüsterte Steve. Erst da wurde Tony klar, dass er das eben laut gesagt hatte. "Du hast nicht weniger getan, als worum ich dich gebeten habe. Mehr als das: Du hast mich gerettet."
Tony schnaubte abfällig und dieses Mal berührten sie sich, Stirn an Stirn, als Steve seine Hand in Tonys Nacken legte. Seine Finger waren so warm, dass sich das Gefühl wie eine Decke über Tonys gesamten Rücken ausbreitete.
"Das ist mein Ernst, Tony. Der Red Skull ... ich hatte eine Ahnung, aber jedes Mal, wenn ich es aussprechen wollte, hat mich etwas davon abgehalten. Es war wie eine Mauer, die ich nicht überwinden konnte." Ein feuchtes, leises Geräusch erklang, also ob Steve sich über die Lippen leckte. "Du hast es erkannt. Du hast ihn durchschaut und du hast eine Lösung gefunden, bevor es zu spät war. Danke."
Tony öffnete die Augen. Er wollte protestieren, aber Steve war so nah, seine Augen so azurblau, dass es unecht wirkte, und er war am Leben. Ein besserer Mann als Tony hätte sich jetzt zurückgezogen. Jemand, mit mehr Willenskraft und weniger Habgier, jemand, der wusste, was gut für andere war. Tony war kein solcher Mann. Tony lehnte sich vor und nahm sich, was er schon so lange haben wollte, scheiß auf die Konsequenzen.
Er hatte den Geschmack von Blut erwartet, doch Steves Lippen waren einfach nur warm, so warm wie die Hand in seinem Nacken, so warm wie der Rest, der sich ihm entgegen drängte. Tony brummte, ein zufriedenes Geräusch tief aus seiner Kehle, dann öffnete er die Lippen und Steve tat es ihm nach.
Steve küsste, wie er alles tat: voller Hingabe und mit einer Ernsthaftigkeit, die Tony nicht in Worte fassen konnte. Selbst als der Kuss tiefer wurde, eine Spur gieriger und verzweifelter, war da dieses Gefühl von Selbstkontrolle, über sich, seine übermenschliche Stärke, das Tony mehr anmachte, als es sollte. Seine Hand fuhr wild durch Steves Haare, zerstörte mit Sicherheit den sorgfältig hingekämmten Seitenscheitel. Tony empfand einen Funken stolzer Zufriedenheit bei dem Gedanken. Er tastete blind nach Steves Hosenbund, wollte ihn greifen und näherziehen, doch stattdessen streiften seine Finger über die Beule in Steves Hose und oh, oh. Steve gab einen Laut von sich, ein leises Wimmern, das direkt durch Tonys Eingeweide in seine Leistengegend fuhr.
"Tut mir Leid", stammelte Steve zwischen zwei Küssen, atemlos und knallrot und verdammt, wie hatte Tony jemals ohne diesen Anblick überleben können? "Ich wollte nicht- du muss nicht-"
"Steve, bist du wahnsinnig?", keuchte Tony empört. Er legte seine Hand an Steves Hüfte und zog ihn an sich, wirklich an sich, bis Steve beinahe auf seinem Schoß saß und ihre Unterleiber dicht aneinander gepresst waren. Wenn Steve glaubte, er wäre der einzige mit einem Ständer, dann hatte er falsch gedacht. Der Laut, der dieses Mal aus Steves Kehle kam, war alles andere als leise und schon gar nicht beherrscht. Er grollte, rollte sein Becken gegen das von Tony und drückte ihre Lippen zu einem weiteren Kuss aufeinander. Der Stuhl quietschte bedrohlich unter ihrem Gewicht.
"Halt, warte – der Stuhl – mein Bein ..." Tony wollte noch mehr sagen, aber da hob ihn Steve in einer fließenden Bewegung aus dem Stuhl hoch. Instinktiv schlang Tony sein gesundes Bein um Steves Taille, doch das war nicht wirklich nötig. Steve konnte ihn mühelos hinüber zu dem Klappbett tragen, auf dem Tony schlief, wenn es mal wieder zu lange in der Werkstatt geworden war. Tonys Libido war eingehend beeindruckt.
"Heilige Scheiße, Steve", plapperte er, während er Steves sauber gebügeltes Hemd aus der Hose riss und dabei ordentlich zerknitterte. "Hast du eine Ahnung, wie heiß das ist, dass du mich tragen kannst? Sex gegen eine Wand, Steve, Sex gegen eine Wand, hast du darüber schonmal nachgedacht, weil-"
Steve biss ihn sanft in die Stelle, wo sich Hals und Schulterblatt trafen, und oh, fuck, Gehirnstopp.
"Wenn dein Bein verheilt ist", murmelte Steve gegen Tonys Hals und schob seinen Daumen unter Tonys Hosenbund, strich mit dem Daumen über die Haut an seiner Hüfte. Wenn das kein Versprechen war, dann wusste Tony auch nicht.
Seine Hände flogen über Steves Hemdknöpfe, zerrten so ungeschickt daran, dass er sich vorkam wie ein Schuljunge vor seinem ersten Mal. Er versuchte sich zu konzentrieren – ein Knopf, dann der nächste, wieder einer … Tony hielt inne.
"Steve, das-", hauchte er, wusste aber nicht, wie er den Satz beenden sollte.
Ein breiter Wundverband verdeckte die OP-Narbe direkt über dem Herzen. Das war nicht das Schlimme. Das Schlimme war die Fläche darum herum: angeschwollene, Falten schlagende, rosa Haut, die erst vor kurzem verheilt war und aussah, als würde sie zu einer gigantischen Narbe werden. Eine annähernd kreisrunde Narbe, dort wo der Unibeam ihn getroffen hatte.
"Ist es-", fing Tony an, doch er wusste noch immer nicht, was er sagen wollte.
"Die Docs sagen, der Effekt des Serums ist nicht ganz verschwunden. Es funktioniert noch, sonst wäre das hier nicht so schnell verheilt. Aber … es ist an dieser Stelle bedeutend langsamer. Und es ist unklar, ob und wann es wieder seine volle Wirkungskraft erlangt."
"Und das hier ..."
"Die Narbe bleibt. Fürs erste."
Tony hielt die Hand direkt über Steves Brust, unsicher, ob er sie anfassen sollte. Narben schreckten ihn nicht ab, nicht mit dem feinen Geäst von Linien, das seinen eigenen ARK-Reaktor umgab. Es war nur die Tatsache, dass es sein Werk war, die ihm Angst einjagte. Er hatte viele Leute verletzt, doch das war das erste Mal, dass es einen realen Beweis dafür gab.
"Es ist okay." Steves Hand legte sich über seine und zog sie sanft auf seine Brust. Tony fühlte die Folie des Wundverbands unter seinen Fingerspitzen und die Wärme von Steves Haut erinnerte ihn an Blut. (Warmes Blut, überall, es klebt an seinen Händen, an Steves Uniform, auf seinen Lippen-) "Es ist in Ordnung, Tony. Wir kämpfen. Wir werden verwundet. Manchmal bleiben Narben zurück."
Und Tony wollte es noch immer nicht glauben, aber das war okay. Vielleicht würde er es niemals glauben. Clint hatte Recht: Das Blut würde immer da sein. Wenn Steve ihn ansah, wenn er lachte, wenn er ihn küsste. Aber vielleicht konnte Tony lernen, damit zu leben. Weil es eine Notwendigkeit war.
"Wenn es dich tröstet: Du bist immer noch unverschämt heiß, selbst mit Narbe."
Er konnte das Beben von Steves Körper unter seinen Fingerspitzen fühlen, als dieser auflachte. Das Funkeln in seinen blauen Augen hatte etwas Verschmitztes an sich und das Raunen in seiner Stimme fuhr wie ein Blitz durch Tonys Unterleib. "Findest du?"
"Oh ja", murmelte Tony heiser und seine Lippen hingen wieder einmal dicht vor Steves, als würden sie magisch von ihnen angezogen. "Aber Steve. Bitte-"
Er wollte sagen: Bitte verlang das nie wieder von mir. Ich werde es nicht noch einmal tun, selbst für dich. Aber er tat es nicht. Stattdessen sagte er es noch einmal – "bitte" –, bäumte sich auf bis ihre Becken wieder gegeneinander drückten und schob Steve das Hemd von den Schultern.
Zum Glück trug Tony seit dem Krankenhaus ohnehin nur schäbige alte Jogginghosen, weil die einfacher über sein ruhig gestelltes Bein zu ziehen waren. Steve half ihm dabei, sie herunterzuziehen, bevor er sich hektisch die eigene Hose samt Boxerbriefs herunterzog, gerade so weit, dass seine Erektion frei war.
"Sieh dich an", hauchte Tony und stellte begeistert fest, dass Steve unter seinem Blick errötete "Du bist umwerfend."
Einen kurzen Moment lang wirkte Steve unschlüssig und Tony fragte sich, wie erfahren er wirklich in solchen Dingen war. So oder so gab es eine Menge Dinge, die Tony mit ihm vorhatte, sobald er die Gelegenheit dazu bekam. Er wollte wissen, mit welchen Worten und Berührungen er ihn zum Erröten bringen konnte, wollte wissen, was er ihm ins Ohr flüstern konnte, bis Steve sich unter ihm wand, wollte Steve in die Matratze ficken und er wollte gefickt werden, so oft und so eingehend, dass er hinterher nicht mehr richtig stehen konnte.
Ein andermal, versprach Tony sich selbst, ließ sich zurückfallen und zog Steve mit sich. Sie atmeten beide scharf ein, als ihre harten Schwänze aneinander rieben. Für heute musste es reichen, wie Steve sich hinunterbeugte und die Haut um den ARK-Reaktor küsste. Für heute musste es reichen, wie Tony über Steves Hals leckte und eine Spurt von Bissen hinterließ. Heute ging es um etwas anderes. Alles, was sie taten, waren Worte, ein Versprechen, eine Versicherung. Ein "Ich bin am Leben". Ein "Es tut mir Leid". (Dass ich das von dir verlangt habe. und Dass ich es tatsächlich getan habe.)
Dieses Mal war es Tony, der seine Hand über die von Steve legte und nach unten führte. Steve griff nach ihren Schwänzen und der Kontakt war atemberaubend. Er fing an, ihnen gleichzeitig einen runterzuholen, zögerlich zuerst, aber nachdem Tony ihm ein "Ja, genau so" ins Ohr keuchte, wurde der Griff fester, schneller, härter und oh Gott, ja, ja, ja.
Tonys Körper war so angespannt, dass er das Ziehen bis in sein Bein spürte. Es kümmerte ihn nicht. Er quasselte und bettelte, als ob sein Leben davon abhing, gab zusammenhangloses Zeug von sich wie "Fuck" und "du solltest dich sehen, Steve, so verdammt geil" und "Gott, das nächste Mal will ich dich besinnungslos ficken". Die Röte in Steves Gesicht kroch tiefer, über seinen Hals und seine Brust. Tony konnte nicht einmal sagen, ob es vor Scham oder Erregung war, aber es war großartig. Er wusste, dass er nicht lange durchhalten würde. Genauso wenig wie Steve, dessen Haut so heiß unter seinen Händen war, dass sie fiebrig wirkte.
Steve keuchte seinen Namen – "Tony", immer wieder nur "Tony" – und es lang etwas so Eindringliches darin, dass es Tony die Luft wegnahm. Er hielt sich an Steve fest und als er kam, heiß, hart, war da eine Pause. Ein Moment der Stille, in der nur Tonys schauderndes Ein- und Ausatmen zu hören war, sein leises Wimmern, als Steves Daumen noch einmal über seine überempfindliche Spitze rieb. Tony öffnete die Augen. Und Steve sah ihn an, mit seltsam verwundertem Blick, seufzte kurz und leise auf. Es war ein kleiner Augenblick, in dem die Zeit stehen zu bleiben schien, bevor Steve seine Hand wieder bewegte. Ein-, zwei-, dreimal, dann kam auch er und vergrub sein Gesicht mit einem erstickten Laut an Tonys Schulter.
Eine Zeit lang war nur das leise Keuchen ihres Atems zu hören. Das Hämmern von Tonys Herz in seiner Brust. Dass leise, stetige Summen des ARK-Reaktors. Steve hing schwer atmend in seinen Armen und wirkte, als ob er sich nie wieder bewegen wollte.
Es war nicht mehr als ein Augenblick, ein verrückter Gedanke, der durch Tonys Gehirn schoss, aber auf einmal war da Angst. Das Gefühl, dass Steve vielleicht nicht mehr die Kraft hatte, sich zu bewegen, dass er Tony nie wieder ansehen würde (-denn das Loch in seiner Brust ist zu groß und er heilt einfach nicht, wenn er es nicht schafft, dan ist es Tonys Schuld, warum heilt er nicht-). Doch schließlich sah Steve auf, mit Augen so blau wieder Himmel (nicht schwarz, niemals mehr schwarz), fuhr mit seiner linken Hand durch Tonys verschwitzte Haare und lächelte.
"Schön dich zu sehen Tony."
Epilog
Das Klappbett war kleiner als das, was Tony normalerweise in seinen Schlafzimmern stehen hatte. Aber weil er Tony Stark war und weil er es sich leisten konnte, war dieses Klappbett immer noch groß und weich genug, damit sie beide bequem Platz darauf hatten. Natürlich mussten sie ein bisschen quetschen und schieben: Steves Oberarm wurde von ihm als Kissen missbraucht und ihre Beine waren auf eine Weise ineinander verschlungen, die von außen betrachtet womöglich unbequem wirkte. Sein verletztes Bein würde es ihm später heimzahlen, doch Tony hätte nicht einmal im Traum daran gedacht sich darüber zu beschweren.
"Weißt du, was ich mich frage?", sagte Steve leise, während er den Arm um Tony legte und ihm das Gefühl gab, in einem riesigen Kokon aus Wärme zu liegen. Das Gefühl war neu für Tony, aber er mochte es. "Warum ich? Ich war doch bestimmt nicht der erste, der den Tesserakt direkt berührt hat."
"Ich habe die Theorie, dass es am Superserum lag. Dadurch, dass ihr beide einer ähnlichen Prozedur unterlaufen seid, hat sich auch eure Zellstruktur geähnelt. Schmidts Geist muss darauf angesprungen sein." Tony brummte nachdenklich. "Aber wer kann das schon so genau sagen? Der Tesserakt ist im Grunde immer noch Magie. Und Magie werde ich wohl nie ganz verstehen."
Eine Weile lagen sie da, schweigend und ineinander verschlungen, und Tony wäre wohl eingedöst, wenn er nicht gemerkt hätte, wie angespannt Steve in seinem Rücken war. Er drehte sich um, bis sie Brust an Brust lagen und er Steve ins Gesicht sehen konnte. "Ich kann dich denken hören, Steve."
"Ich habe das Gefühl, dass ich nie wieder einschlafen werde", gab Steve leise zu. "Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich das will."
Tony wusste, was er meinte. Er wünschte, es wäre nicht so, aber nach Afghanistan wusste er genau, was Steve meinte. Manchmal war die Angst vor dem Einschlafen größer, als alles, was der Verstand einem im Traum entgegen werfen konnte.
Tony hatte nicht viel zu geben und er wusste selbst jetzt nicht so genau, was Steve in ihm sah. Aber er hatte Worte, und davon mehr als genug. Also begann er zu erzählen.
Er erzählte von Gamma-Strahlung, Programmiersprachen und Schwarzen Löchern. Er erzählte von vielen Dingen, die alle keinen Sinn ergaben, wenn man nicht mindestens einen Doktor in Naturwissenschaften hatte. Eine Gutenachtgeschichte, die so furchtbar langweilig war, dass sie Steve zum Schmunzeln brachte, noch während seine Lider schwerer wurden. Aber das machte nichts. Denn die Worte, spielten keine Rolle. Es war nur wichtig, was sie bedeuteten (nämlich "Ich bin da" und "Wir sind am Leben" und, was am wichtigsten war, "Es ist vorbei ").
Als Steve langsam die Augen zufielen und er etwas murmelte, das "Danke" oder "Bleib hier" oder auch "Tony" hätte sein können, strich Tony durch dessen Haare und küsste die Linien der Narbe auf dessen Brust.
"Schlaf, Steve. Ich bin hier."
Es war ein Flüstern, eine Berührung in der Dunkelheit und ein Versprechen.
"Schlaf."
- Ende -
no subject
Date: 2012-12-25 10:56 am (UTC)Ich kenne einfach sonst niemanden, der Tony auf deutsch so gut rüber bringen kann (auf englisch eigentlich auch nicht), und die anderen hast du auch alle sehr gut getroffen!
Bei dem Plot mitgefiebert habe ich eher beim betalesen ;) Aber so war es trotzdem noch mal schön!
Und ich mag die kleinen Gedichte bzw Zitate vor jedem Kapitel total.
Also, sehr sehr schön und auf jeden Fall gehört das hier mit zu meinen Lieblingsfics :)
no subject
Date: 2012-12-26 05:20 pm (UTC)no subject
Date: 2012-12-26 07:54 pm (UTC)Aber ich habe gern geholfen! ;)
no subject
Date: 2012-12-28 10:26 pm (UTC)Ich hatte ja die ganze Zeit auf ein gutes Ende gehofft, und ja! *high five* Eine tolle Geschichte, die ich unbedingt nochmal in Ruhe und wach lesen muß. Vielleicht auch noch mehr als einmal ... ich neige bei Texten, die ich mag, zum Wiederkäuen :)
"Heilige Scheiße, Steve", plapperte er, während er Steves sauber gebügeltes Hemd aus der Hose riss und dabei ordentlich zerknitterte. "Hast du eine Ahnung, wie heiß das ist, dass du mich tragen kannst? Sex gegen eine Wand, Steve, Sex gegen eine Wand, hast du darüber schonmal nachgedacht, weil-"
Normalerweise sind es eher die romantischen und fluffigen Szenen, die mir am besten gefallen (wenn sie gut geschrieben sind), aber hier mußte ich einfach das zitieren. Einfach genial, wenn eine Sexszene gleichermaßen heiß ist UND einen zum Lachen bringt.
no subject
Date: 2013-01-02 10:59 pm (UTC)Vor allem, da du ja meintest, dass du die Vorlage nicht kennst. Du solltest dir den Film bei Gelegenheit wirklich ansehen - er ist meiner Meinung nach eine der besten Comic-Verfilmungen seit Jahren! Vielleicht nicht ganz plotstark, aber großartig in Humor, Team-Dynamik, Action und Charakterdarstellung. Hach, ich könnte Herzchen drum malen. <3
(Und danke für den Formatierungshinweis, das HTML stimmt jetzt wieder. :))
no subject
Date: 2013-01-03 10:29 pm (UTC)Den Film werde ich dann wohl frühestens irgendwann im TV sehen *seufz* Seit ich arbeite, schaffe ich es kaum noch ins Kino. Aber Farfie (
no subject
Date: 2013-03-08 06:05 pm (UTC)Zum Glück konnte ich Dank des wiederholten Hinweises darauf, daß RDJ die Hauptrolle spielt, auch meinen Mann dazu bewegen, der Comicverfimungen in den letzten Jahren eher abgeneigt ist - wir haben wohl zuviel schlechtes gesehen. Jetzt muß ich es nur noch hinkriegen, Iron Man II & v.a. The Avengers auszuleihen, wenn ich warte, bis das alles im Fernsehen kommt, werde ich alt und grau. Also, noch älter und grauer.