ayascythe: Pink Reaper (Iron Man ARC reactor)
[personal profile] ayascythe
Autor: [livejournal.com profile] ayascythe
Fandom: The Avengers (MCU)
Pairing: Steve Rogers/Tony Stark, Tony Stark/Pepper Potts, Andeutungen von vergangenem Steve Rogers/Bucky Barnes
Rating: PG-13 (für Teil 1)
Language: Deutsch/German
Wortanzahl: 12.820
Einstufungen/Warnungen: Beziehungs-Hin- und -Her mit ein bisschen Humor, ein bisschen Drama, sowie Steves Unsicherheiten und Tonys Eigenarten, Pre-Slash, Andeutungen von verinnerlichter Homophobie
Beta: [livejournal.com profile] 3ngel
Disclaimer: Das Avengers-Universum gehört Marvel und jegliches Copyright liegt bei ihnen. Ich habe mir lediglich die Charaktere ausgeliehen, um ein bisschen mit ihnen zu spielen. Ich mache hiermit kein Geld.

Zusammenfassung: Jeder versucht Steve einzureden, was er über Tony Stark zu denken hat. Das wird nicht besser, nachdem die beiden Freunde werden. Ganz im Gegenteil.

A/N: Leider musste ich die Fic splitten, sonst hätte es mir zeitlich nicht mehr gereicht. Ich hoffe, es liest sich dennoch gut. Leider musste ich auch den 1. nochmal splitten, weil mir LJ gesagt hat, dass der 1. Post zu groß war. Sorry, falls ich verwirre. Danke an [livejournal.com profile] 3ngel für die kurzfristige Beta-Übernahme!

Vorurteil: Teil 1 | Teil 2

AO3 | FF.de (wird nachgeliefert, versprochen)

Fanart Masterpost von [livejournal.com profile] mella68: AO3


Die Zukunft ist kein Jane Austen-Roman

Vorurteil - Teil 1

"Well that’s the funny thing about reputations; everybody thinks I’m the big heart breaker, but the fact of the matter is that you broke mine first."
~ Jesse St. James, Glee

Steve erfährt zum ersten Mal von Anthony Edward Stark durch Colonel Fury.

„Howard hat einen Sohn?“

Noch während er versucht, diese Tatsache zu verdauen, hat er einen wahnwitzigen Moment, in dem er sich einen kleinen Jungen mit Howards selbstbewusstem Grinsen und einer wilden, schwarzen Wuschelmähne vorstellt. Dann holt Fury ihn auf den Boden der Tatsachen und siebzig Jahre in die Zukunft zurück: Stark Junior ist bereits über zehn Jahre älter als er und Erbe des Milliarden-schweren Familien-Unternehmens.

„Stark ist ein unerträglicher Bastard, aber er hat Ahnung von seinem Fach und Iron Man ist ein unersetzlicher Bestandteil der Avengers-Initiative. Wir können nicht auf ihn verzichten.“

Fury scheint diesen Umstand zu Bedauern. Er schiebt eine dünne Info-Mappe über den Schreibtisch, an die mit einer Büroklammer Starks Bild geklemmt ist. Howards Sohn ist wirklich älter als Steve, aber auf eine markante Weise gutaussehend und charismatisch.

Steve versucht sich auszumalen, welche schlechten Eigenschaften Stark haben könnte (ein großes Ego, Arroganz, Wutausbrüche, einen Hang zu Liebschaften ), muss aber schnell feststellen, dass er alles in irgendeiner Form und Weise schon von Howard kennt. Er ist mehrere Jahre mit dessen exzentrischen Launen zurecht gekommen, da kann sein Sohn ihn wohl kaum schockieren.

„So schlimm kann er nicht sein, oder?“, murmelt er, während er die Mappe überfliegt: Alter, Werdegang, sonstige Eckdaten – nichts, was wirklich etwas über Anthony Stark aussagt.

„Sie werden ihn nächste Woche kennenlernen“, sagt Fury anstelle einer Antwort. „Er wird jede Menge Scheiße quasseln und vielleicht auch betonen, dass es seine Firma war, die Sie aus dem Eis geholt hat. Lassen Sie sich nicht provozieren.“

Steve schließt die Mappe und lächelt auf eine Weise, die die meisten Leute beruhigend finden, weil sie ihnen vermittelt, dass er keine Probleme machen wird (natürlich werde ich das SHIELD-Hauptquartier nicht mehr verlassen; nein, ich werde nicht zusammenbrechen, weil die Menschen, die ich geliebt habe, schon vor Jahren gestorben sind).

„Machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden schon miteinander auskommen.“

*

„Nicht böse sein, aber … ich spiel nicht so gern mit anderen.“

"Ein großer Mann in 'ner Rüstung, nimm sie weg, was bist du dann?"

Soviel dazu.

*

Fury hat Unrecht: Anthony Stark ist kein unerträglicher Kerl.

Er ist viel, viel schlimmer.

Er schafft es, bei ihrem ersten Treffen nicht nur Steve sondern auch Dr. Banner, Clint und Thor in einem Rutsch zu beleidigen und das in den ersten zehn Minuten. Von Natasha hält er dagegen respektvollen Abstand und Steve vermutet nicht zu Unrecht, dass Stark sich an ihr schon die Finger verbrannt hat. (An Natasha - das stellt Steve im Laufe der nächsten Monate amüsiert fest - verbrennen sich viele die Finger.)

Stark kommt prinzipiell spät zu Meetings. Wenn er da ist, nimmt er sie nicht ernst - tippt nur ständig auf seinen kleinen Geräten herum und schneidet gelangweilte Grimassen. Er findet jede Idee inakzeptabel, die nicht von ihm selbst stammt, und beschwert sich in einem Fort über die SHIELD-Technologie und den Kaffee. Außerdem scheint er es sich zum Ziel gesetzt zu haben Steves Autorität zu untergraben, wo er nur kann.

Cap, das hat man vielleicht in den Vierzigern gemacht, aber so läuft das heutzutage nicht mehr.

Ernsthaft? Ich hätte mich anders entschieden, Cap.

Oh Gott, ist das dein Handy, Cap? Das sieht aus wie ein Backstein mit Tasten – konnten die von SHIELD nichts besseres für dich auftreiben?


Cap, Cap, Cap.

Trotz seines guten Willens verliert Steve schon bald die Geduld. Vor allem dann, wenn Tony übernächtigt den Meetingraum betritt, sich eine Sonnenbrille auf die Nase setzt und auf der Stelle eindöst. Es ist ein kleines Wunder, dass Starks Firma bei dieser Einstellung nicht schon längst in den Ruin getrieben wurde. Andererseits hat Stark wohl nicht ohne Grund deren Leitung an Miss Potts übergeben.

Miss Potts ist eine weitere Sache an Tony Stark, die Steve nicht versteht. Nicht, dass er sie nicht mag – ganz im Gegenteil. Bei ihrer ersten Begegnung hat sie freundlich aber bestimmt ein Rudel SHIELD-Agenten abgewimmelt, die ihr weismachen wollten, sie hätte keine Befugnis sich in jenem Bereich des Gebäudes aufzuhalten. Einer der Agenten machte den Fehler Miss Potts zu widersprechen und bekam ein paar gemurmelte Worte sowie ein sehr furchteinflößendes Lächeln als Antwort. Danach trat das Problem nie wieder auf.

Pepper Potts erinnert Steve an Peggy, nur ein bisschen, und allein deshalb findet er sie großartig. Aber sie ist auch Tony Starks Mädchen. Freundin. Lebensabschnittsgefährtin. Was immer man im 21. Jahrhundert dazu sagt. Fakt ist, dass sie es mit ihm aushält, ihn anlächelt, als wäre er tatsächlich charmant und nicht nur großspurig. Sie ist eine so reizende junge Frau, klug, selbstbewusst, kompetent und freundlich (und manchmal etwas einschüchternd), und Tony ist so … So.

Vielleicht ist es gerade ihre Fähigkeit keinen Unsinn hinzunehmen und nur das wirklich Wichtige zu sehen, was es ihr möglich macht, mit Stark zusammen zu sein. Vielleicht hat er ja ungeahnte positive Seiten an sich, wer weiß das schon? Steve jedenfalls nicht und er wird es wohl nicht herausfinden, wenn es nach Stark geht.

Trotzdem. Steve wäre nicht Steve, wenn er nicht zumindest versuchen würde, mit Stark auszukommen. Sie gehören zum selben Team, werden schon bald Seite an Seite kämpfen müssen, und ein Mindestmaß an gegenseitigem Respekt sollte nicht zu viel verlangt sein.

„Ich finde, wir sollten miteinander essen gehen“, sagt er deshalb nach einer der Besprechungen, während der Rest gemächlich den Briefing-Raum verlässt.

Stark blinzelt ihn an, als wäre er gerade erst aufgewacht (nicht unwahrscheinlich), rutscht in seinem Stuhl hoch und gibt ein genuscheltes „Hn?“ von sich.

„Essen“, wiederholt Steve entschlossen. „Nichts Großes, ein Diner, von mir aus auch die SHIELD-Kantine.“

„Warum?“

„Weil wir einen schlechten Start hatten. Und weil ich finde, dass das nicht so bleiben muss. Du bist Howards Sohn und … na ja.“ Verlegen reibt er sich mit der Hand über den Nacken. Er hasst es, dass er in den unpassendsten Situationen immer noch verlegen wird. Innerlich kann er hören, wie Bucky ihn deswegen gutmütig auslacht. „Ich glaube, er hätte gewollt, dass wir uns besser verstehen.“

Etwas in Starks Blick verändert sich. Mit einem Mal wirkt er nicht nur groggy und distanziert, sondern abweisend und schlichtweg genervt. Steve könnte schwören, dass er die Augen rollt.

„Da bin ich mir sicher, Cap“, erwidert er gelangweilt, bevor er Steve ein zuckersüßes Lächeln schenkt. „Weißt du was? Das ist eigentlich eine sehr gute Idee. Ich werde Pepper fragen, ob wir dieses Jahr noch irgendwann einen freien Termin haben. Wir melden uns dann.“

Steve ist nicht dämlich – irgendwo in diesen Worten liegt ein Du kannst mich mal. Doch er will, dass Stark versteht, wie ernst es ihm ist. „Nur zu zweit, meinte ich. Versteh mich nicht falsch, ich finde Miss Potts toll, aber es wäre ganz gut, wenn wir uns ein bisschen unterhalten könnten. Kennenlernen. Nur wir beide.“

Mehrere Sekunden lang glotzt ihn Stark einfach nur an, bis Steves Fingerspitzen zu kribbeln anfangen und er das Bedürfnis hat, wild zu gestikulieren und sich zu rechtfertigen. Was hat er jetzt schon wieder Falsches gesagt?

„Aber Cap“, sagt Stark schließlich und auf seine Lippen stiehlt sich ein langsames, anzügliches Grinsen. „Ich bin doch schon vergeben.“

„Ich- was?“ Er spürt Hitze seinen Hals, seine Wangen und seine Ohren entlangkriechen, als ihm klar wird, worauf Stark hinaus will. Oh. Oh nein, dieser ... "Ich bin kein-"

... 'warmer Bruder', will er sagen. Ein alter Reflex, eine festsitzende Abwehrreaktion, die er noch immer nicht losgeworden ist. Weil man früher so etwas eben abgestritten hat, egal, ob es stimmte oder nicht. Doch Stark grinst noch immer und lässt sich nicht beirren.

„Mach dir nichts draus, Cap. Ich bin heiß, das ist eine Tatsache. Du bist nicht der erste Kerl, der es bei mir versucht hat. Es gibt schlimmere Niederlagen.“

Damit klopft er Steve lässig auf die Schulter, zwinkert ihm zu und lässt ihn mit hochrotem Kopf stehen.

*

"Lass dich nicht ärgern, Rogers." Clint führt eine präzise Handbewegung mit dem Wii-Controller aus und pustet zwei Zombie-Köpfe auf einmal weg. "Stark ist eine Arschgeige, aber er weiß zumindest, wie man das Leben genießt. Außerdem hat er alle Konsolen-Spiele schon vor ihrer Erstveröffentlichung."

„Und wie hilft mir das weiter?“

„Ich sage nicht, dass dir das weiterhilft. Ich sage nur, dass du es nicht so schwer nehmen sollst, wenn er dir einen Korb gibt. Aber für den unwahrscheinlichen Fall, dass du es doch schaffen solltest -“ (drei weitere Zombies finden ein blutiges Ende durch Clints virtuelle Schrotflinte) „- kannst du ihn ja fragen, ob er eine Kopie von Zombie Fest 5 springen lassen kann.“

„Das ist alles, was du dazu zu sagen hast?“

Clint zuckt die Achseln. „Was gibt es sonst noch dazu zu sagen?“

Ehrlich gesagt weiß Steve das auch nicht.

*

Steve ist drauf und dran aufzugeben (ja, ihr habt Recht, ja, eine Freundschaft mit Tony Stark aufzubauen ist verschwendete Zeit), zumal er Furys „Was habe ich Ihnen gesagt“-Stieren von Mal zu Mal weniger ertragen kann. Clint lacht ihn einfach nur aus und Natasha rollt jedes Mal die Augen, wenn er versucht mit Stark zu reden. Thor und Bruce verfolgen das ganze mit wachsender Verwirrung.

Aber das alles ist letzten Endes nicht das Problem. Das Problem ist weder der Mangel an Freundschaft zwischen ihm und Tony Stark, noch die Tatsache, dass Stark scheinbar das Bedürfnis hat, sich jeden zum Feind zu machen. Das Problem ist, dass sie ein Team sind (oder eines sein sollten), und dass das in der Theorie einfach nicht funktionieren kann.

In der Praxis übrigens auch nicht.

Bei den wenigen Trainingsmissionen, die sie gemeinsam bestreiten, herrscht Chaos. Clint und Natasha sind es gewohnt mit- und umeinander zu kämpfen, aber nicht mit dem Rest und setzen sich deshalb viel zu oft ab. Thor ist sich seiner eigenen Kraft manchmal nicht bewusst und seine Blitze gefährden nicht nur die Ziele sondern das ganze Team. Tony ... tja, Tony dreht sein eigenes Ding. Steve versucht alles zusammenzuhalten und weil jeder mit sich selbst beschäftigt ist, achtet niemand auf den Hulk, der führungs- und ziellos einfach alles zerstört, was ihm in den Weg kommt.

Sie brauchen Zeit. Viel mehr Zeit.

Abgesehen von der Tatsache, dass sie keine haben.

*

Das Ding ist 30 Meter hoch, sieht aus wie eine tollwütige Motte und spuckt eine zähe, klebrige Substanz, die Bewegungen verlangsamt und einen enorm beim Kämpfen stört. Steve kann das so genau beurteilen, weil er im Moment knietief in der weißen Masse feststeckt.

"Widow! Hawkeye! Versucht den Hulk im Zaum zu halten", brüllt er durch das Interkom und versucht vorwärts zu waten. "Thor, versuch es von der Flanke! Iron Man-"

Doch Iron Man ist nirgends zu sehen und Steve hat mit einem Mal weitaus dringendere Probleme: Die Motte hebt eines ihrer überflüssig vielen Beine an, um es wieder auf den Boden stampfen zu lassen. Direkt auf Steve.

"DECKUNG, CAP!"

Iron Man rast in solch einem Tempo auf ihn zu, dass Steve nur einen verwischten Fleck aus Rot und leuchtender Repulsor-Energie wahrnimmt. Etwas schlägt ihm die Luft aus den Lungen - eisenharte Arme packen seinen Oberkörper - ein lautes, schmatzendes Geräusch erklingt und seine Beine sind frei. Während des Bruchteils eines Augenblicks fliegt er in Starks Armen durch die Luft und wähnt sich sicher. Dann kollidiert das Motten-Bein doch noch mit Iron Mans Rücken. Sie fallen beide: Steve auf den Boden, wo er ein paar Meter weiterschlittert, Stark gegen die Wand des nächsten Hochhauses. Glas splittert und regnet auf die Straße, während Steve versucht, die Orientierung zurück zu gewinnen.

"Iron Man ... Iron Man, melden!"

"A-alles bestens. Nur keinen Aufstand, Cap", hört er Stark durch das Interkom ächzen. Es klingt alles andere als "bestens".

Als Steve sich umdreht, sieht er gerade, wie Iron Man aus einem Haufen Bauschutt und Glas auftaucht und in seine Richtung humpelt. Der Anzug ist an mehreren Stellen eingebeult, der Lack hat unzählige Kratzer und Schrammen und der ARK-Reaktor in Starks Brust flackert ab und zu verräterisch, wenn man nur lange genug hinsieht.

"Ich glaube nicht, dass du noch weiterkämpfen solltest", meint Steve mit einem Stirnrunzeln, sobald sie sich gegenüberstehen. Bildet er es sich ein oder lässt Stark seinen linken Arm hängen?

"Unsinn."

"Deine Rüstung ist schwer beschädigt!"

„Das ist ein Grund, aber kein Hindernis.“ Er hört Tony trocken auflachen.

„Das ist mein Ernst.“

„Das ist auch mein Ernst“, schnappt Stark, packt Steve unvermittelt am Arm und zieht ihn mit sich zu Boden. Über ihnen fliegt ein Auto hinweg, das Bruce nach dem 30-Meter-Wesen geworfen hat. Leider hat er es um einige Meter verfehlt. "Sorry, Cap, aber keine Chance. Ich haue nicht mitten in der Party ab."

Bevor Steve noch etwas dazu sagen kann, kehrt Iron Man ihm den Rücken zu. Steve sieht sich der gigantischen Delle gegenüber, die der Motten-Fuß in der Rüstung hinterlassen hat. Das Metall ist an einigen Stellen aufgerissen. Drähte hängen Funken stiebend heraus. Dann erwachen die Antriebe in den Stiefeln zum Leben und Tony schießt mit einem Ruck wieder in die Luft.

*

Irgendwie schaffen sie es, die Sache zu überleben, nicht die halbe Stadt dabei zu zerstören und das Monster zu erledigen. Von allen Beteiligten sind wahrscheinlich die Avengers selbst am meisten davon überrascht.

Clint und Thor sind nach der Mission sichtlich aufgekratzt, klopfen sich immer wieder auf die Schultern und rekapitulieren besonders waghalsige Angriffe, die sie durchgeführt haben. Bruce wirkt ramponiert (er trägt noch immer seine zerrissene Kleidung), aber sichtlich erleichtert. Selbst Natasha lächelt still vor sich hin und lässt die Launen ihrer Teamkollegen über sich ergehen.

Thor ist der lautstarken Ansicht, dass sie den erfolgreichen Kampf feiern sollten („Ein Gelage, meine Freunde, ein Gelage!“), aber Agent Coulson beharrt auf medizinischer Versorgung und einer Nachbesprechung des Einsatzes. Steve ist insgeheim sehr dankbar dafür, denn Starks Zustand besorgt ihn.

Der Konzernerbe hat seine Rüstung abgelegt, doch während die anderen aufgeregt miteinander reden, bleibt er uncharakteristisch still. Er hält den linken Arm dicht an seiner Seite und hinter jedem seiner Schritte steckt ein gewisses Maß an Vorsicht, so als liefe er auf Eierschalen – oder als hätte er mehrere angeknackste Rippen. Trotzdem macht er keine Anstalten nach einem Arzt zu verlangen.

„Stark.“

Der Angesprochene zuckt kaum merklich zusammen, als er nach der Nachbesprechung sang- und klanglos verschwinden will. Bei jedem anderen hätte Steve gesagt, dass er schuldbewusst aussieht. Als wäre er bei etwas ertappt worden. Aber immerhin handelt es sich um Tony Stark. Schuldgefühle sind für ihn bestimmt nur ein abstrakter Begriff.

„Was gibt’s, Cap?“

Wie immer, wenn Stark mit ihm spricht, kommt die Frage mit Leichtigkeit und einem gewissen Maß an Zerstreutheit, so als ob ihn die Situation nur periphär betrifft. Steve verschränkt die Arme vor der Brust, um das Zucken in seinen Fingerspitzen zu verbergen.

Heute war das erste Mal, dass er Iron Man in einem tatsächlichen, ernsthaften Kampf erlebt hat. Es war eine beeindruckende und zugleich erschreckende Erfahrung. Iron Man ist … er ist ein guter Kämpfer. Sicher, er macht die meiste Zeit, was er will, doch er ist immer dort, wo Hilfe gebraucht wird. Nachdem er Steve gerettet hat, hat Iron Man sich noch mehrmals zwischen diverse Angriffe auf andere Teammitglieder geworfen, Rückendeckung gegeben, wo Rückendeckung nötig war, und Clint aufgefangen, als dieser ungraziös durch die Luft geschleudert wurde. Er ist eine Naturgewalt und er nimmt keine Rücksicht auf Verluste – zumindest, wenn die Verluste ihn selbst betreffen.

Unwillkürlich erinnert Steve sich an ihre erste Begegnung, an die Worte, die er Tony in seiner Wut an den Kopf geworfen hat: "Ein großer Mann in 'ner Rüstung, nimm sie weg, was bist du dann?"

Tot, denkt Steve mit einem Kloß im Hals. Die Antwort ist: Er wäre tot.

Und Steve wäre es auch, hätte sich Stark nicht dazwischen geworfen.

„Danke“, sagt er deshalb einfach nur. „Für vorhin.“

Wenn Stark überrascht oder verwundert ist, so lässt er es sich nicht anmerken. Er nickt kurz angebunden, sieht Steve abwartend von der Seite an.

„Das solltest du von jemandem ansehen lassen.“

Steve deutet auf Starks kraftlos wirkenden Arm, wedelt dann mit der Hand in Richtung Rippen, dann zu den Kratzern und blauen Flecken, bis er sich entschließt, einfach Starks gesamten Körper mit seiner Geste einzuschließen. Stark setzt sein patentiertes Grinsen auf.

"Oh, ich bin mir sicher, Pepper sieht sich das gerne an."

"Ich meinte einen Arzt."

„Nichts für ungut, aber ich traue den SHIELD-Ärzten nicht.“

Steve seufzt.

"Traust du überhaupt jemandem?", fragt er mehr frustriert als verärgert, doch Stark presst die Lippen aufeinander und macht eine Bewegung. Offenbar eine falsche, denn er zuckt kurz zusammen, nur um ihn danach umso verschlossener anzusehen.

„Ich bin wegen der Rüstung und wegen meines Geldes in eure Boyband gekommen, nicht weil ich besonders kuschlig drauf bin“, schnarrt er. „Mach dir da bitte nichts vor. Fury hat dir das bestimmt auch schon erklärt.“

Ja. Ja, das hat Fury. Das ändert nichts daran, dass Steve anderer Meinung ist.

"Wir sind immer noch ein Team. Uns solltest du vertrauen", wendet Steve ein. „Ich bin dir wirklich dankbar für den Einsatz, den du heute gezeigt hast. Aber das heißt nicht, dass du alles alleine tragen kannst oder solltest. Du hast meine Anordnung den Kampf zu verlassen ignoriert. Du hast dir nicht einmal helfen lassen. So kannst du auf Dauer nicht gewinnen.“

Er erntet ein belustigtes Schnauben. „Du kannst nicht sagen, ich hätte dich nicht gewarnt.“

„Stark. Auf die Dauer wirst du dabei draufgehen.“

„Immerhin wird es kein großer Verlust für euch sein, wenn es so weit ist.“

Ein charmantes Grinsen breitet sich auf Starks Gesicht aus. Steve hasst dieses Grinsen. Steve hasst, dass er Tag für Tag gegen Stark ankämpfen muss statt an dessen Seite und er hasst den Gedanken, dass er sich anfangs eine Freundschaft mit ihm erhofft hat. Er könnte weiß Gott einen Freund in dieser fremden, verrückten Zukunft gebrauchen, doch Stark hat offensichtlich beschlossen, dass er es nicht wert ist. Vielleicht klingt er deshalb so enttäuscht, so bitter, als er hinzufügt: „Schade. Ich hatte mehr von dir erwartet.“

Seltsamerweise ist es dieser eine Satz, der Stark aus der Reserve lockt. Das Grinsen zerfällt auf seinen Lippen wie ein Kartenhaus. Genervt zieht er die Augenbrauen zusammen, ballt die Hände an seinen Seiten zu Fäusten.

Verzeihung, dass ich die Erwartungen des großen Captain America enttäuscht habe. Aber du hast es doch selbst gesagt: Nimm die Rüstung weg, dann hast du nur noch den Playboy mit der Kohle. Also erwarte auch nicht mehr als das. Ich weiß, dass ich meinem Vater gleiche, genauso ein Genie, all der Kram, den die Leute von sich geben, wenn sie betrunken sind oder Geld wollen. Aber nur weil du ihn gekannt hast, heißt das nicht … nur weil du glaubst … was auch immer du von mir erwartest, ich kann und werde nicht-“

„Aber das bist du nicht!“

Sein vehementer Einspruch bringt Stark tatsächlich zum Stocken. „... bitte?“

„Du bist nicht wie Howard“, beharrt Steve felsenfest, und überhaupt – wie kommt Stark darauf? Howard war jemand, den er trotz aller Eigenarten immer bewundert hat für die Leichtigkeit, mit der er durch die Welt ging. Tony Stark hat nichts davon. Was bei Howard Selbstbewusstsein und Kühnheit waren, sind bei Stark Größenwahn und schlechtes Benehmen. Was immer ihn dazu bringt, diesen Vergleich heranzuziehen – er ist völlig unangebracht.

Stark sieht ihn mit großen Augen an. Steve könnte nicht sagen, was er gerade denkt, aber er wirkt keineswegs verärgert und das ist … seltsam.

„Nicht?“ Stark klingt fast so verwirrt, wie Steve sich fühlt. Er hält seinen Arm noch dichter am Körper, während er gegen den ARK-Reaktor in seiner Brust tippt, ein schnelles, nervöses Taptaptap mit der Fingerspitze.

„Äh. Nein“, sagt Steve und als Stark für einen Augenblick jegliche Reserviertheit fallen lässt und einfach nur erleichtert wirkt, hat Steve den Anschluss an die Unterhaltung verloren. Ein Missverständnis. Es kann nur ein Missverständnis sein, ein beharrliches aneinander Vorbeireden, doch Stark sieht ihn zum ersten Mal so an, als ob er wirklich zuhört. Steve möchte diesen Ausdruck festhalten, mit beiden Händen greifen und nicht mehr loslassen.

„Du bist nicht wie dein Vater“, wiederholt er deshalb etwas verlegen. „Das habe ich nie gedacht.“

"Oh. Okay."

„Was hat das überhaupt mit der ganzen Sache zu tun?“

Stark bleibt ihm die Antwort darauf schuldig, aber um seine Mundwinkel spielt ein seltsam zufriedenes Zucken, als er davonhumpelt. Ein Fast-Lächeln, das Steve mit einer Mischung aus Freude und schlechtem Gewissen erfüllt. Er versteht es nicht. Er versteht Stark einfach nicht. Manchmal hat er das Gefühl, er wird es nie.

„Und geh zum Arzt!“, ruft er hinterher, aber Tony lacht einfach nur und winkt ab.

*

Komischerweise hört Stark danach auf, ihn bei jeder Gelegenheit zu provozieren oder schnippische Kommentare von sich zu geben. Komischerweise taucht er danach bei den meisten Meetings pünktlich auf - wenn auch immer noch übernächtigt. Komischerweise beginnt er danach zu kooperieren. Ihr Verhältnis verbessert sich drastisch, was immer noch meilenweit von einer Freundschaft entfernt ist.

Stark gibt weiterhin flapsige Kommentare von sich, doch der beißende Sarkasmus, der sonst immer mitschwang, weicht einer Beiläufigkeit, die beinahe vertraut und offen wirkt. Steve will ihn manchmal immer noch schütteln, vor allem, wenn Stark vollkommen lebensmüde Aktionen im Kampf durchführt. Es ist noch lange nicht gut, doch es ist sehr viel besser und Steve ist dankbar für jede Art von Fortschritt.

„Was immer es ist, machen Sie weiter damit, Captain“, meint Fury eines Nachmittags zu Steve, klopft ihm auf die Schulter und wirkt für seine Verhältnisse regelrecht begeistert – soll heißen: Er sieht minimal weniger bedrohlich aus als sonst.

Steve nickt einfach nur und wünscht sich, er wüsste, was genau er getan hat.

*

"Was halten Sie davon, dass Sie mit einem ehemaligen Kriegsgewinnler zusammen arbeiten müssen?"

"Starks Firma stellt keine Waffen mehr her."

"Nichtsdestotrotz wäre die Firma heute nicht dort, wo sie ist, ohne die Erfolge der Waffenproduktion."

"Nichtsdestotrotz hätten meine Männer und ich im Zweiten Weltkrieg eine weitaus geringere Überlebenschance gehabt ohne die Waffen und Ausrüstung von Howard Stark."

Steve lächelt sein charmantestes Lächeln: das leicht schiefe, das er sich im Krieg für seine Auftritte zugelegt und vor dem Spiegel geübt hat. Christine Everhart lässt sich davon nicht beeindrucken.

Sie ist eine schöne Frau mit blondem Haar, kompetent, effizient und ein gnadenloser Wadenbeißer. Steve kennt die Sorte Reporter, auch wenn jene aus seiner Zeit niemals ganz so dreist gewesen wären. Everhart scheint keine Hemmungen zu kennen. Als ihr klar wird, dass sie über diesen Weg keine Reaktion aus Steve herausbekommt, schlägt sie einen anderen ein.

"Und was sagen Sie zu Tony Starks freizügigem Lebensstil? Wie schamlos Stark seine Exzesse in der Öffentlichkeit auslebt?"

Zur Untermalung ihrer Worte schiebt sie ihm ein Foto unter die Nase, auf dem – wahrscheinlich – Stark zu sehen ist. Ehrlich gesagt ist Steve sich nicht wirklich sicher, denn er kann nicht viel erkennen außer einer Menge Damenbeine und Hände an Stellen, die er nicht weiter benennen möchte. Blinzelnd wendet Steve den Blick ab.

"Ich wüsste nicht, was das-"

"Aber sind Sie, als Mann der Vierziger, nicht empört über seine Moral? Man sagt, er wechselt seine Partner öfter als andere Menschen ihre Unterwäsche.“

Wie die meisten Leute des 21. Jahrhunderts scheint Everhart der Ansicht zu sein, dass die Vierziger Jahre eine Art zweites Mittelalter waren. Steve versucht nicht mit den Augen zu rollen.

"Frauen und Männer", wirft sie hinterher. Ihre Augen blitzen herausfordernd, als wäre sie sich sicher, dass sie Steve damit an der Angel hat. Und - nun ja. Auf dem Bild war tatsächlich eine Hand auf Tonys Oberschenkel, die verdächtig nach der eines Mannes aussah. Steve versucht, nicht die Lippen zusammen zu pressen.

„Soweit ich weiß, ist Mister Stark derzeit in einer glücklichen Beziehung mit Miss Potts.“

„Noch“, kommentiert Everhart mit einem zynischen Lächeln, das Steve nicht weiter überrascht. Was ihn jedoch aufhorchen lässt, ist ihr Tonfall. Bisher hat sie nur Fragen gestellt, lose Fakten in den Raum geworfen, in der Hoffnung Steve würde sie bestätigen. Ihre nächsten Worte kommen dagegen mit der abfälligen, harten Sicherheit einer Person, die genau weiß, wovon sie redet. „Tony Stark ist ein ein Mann, der sehr leicht mit einem kurzen Rock und einem Augenaufschlag umzustimmen ist. Glauben Sie mir, es ist nur eine Frage der Zeit.“

Steve starrt sie an und weiß nicht, was er darauf erwidern soll. Es geht ihn doch gar nichts an, was Stark mit seinem Privatleben anstellt, aber der Rest der Welt scheint wie besessen davon zu sein. Er hat das vage Gefühl, dass er als Starks Team-Kollege dessen Ehre verteidigen sollte oder zumindest in irgendeiner Form protestieren, aber … wie kann er das tun, wenn er nicht weiß, was stimmt?

Der Moment zieht sich hin wie Kaugummi, doch bevor er noch etwas sagen kann (muss), rauscht Rettung in Form eines unbeeindruckt aussehenden Agent Coulsons in das Zimmer.

„Die Interview-Zeit mit Mister Rogers ist abgelaufen.“

Everhart erhebt einen perfekt manikürten Finger zum Protest, aber Coulson hat bereits einen festen Griff um Steves Schulter und schiebt ihn in Richtung Tür. Sein Lächeln ist humorlos und frostig.

„Der nächste in der Reihe ist Doktor Banner. Ich schlage vor, dass Sie genau überlegen, was Sie ihn fragen möchten. – Er hat ein unberechenbares Temperament.“

*

„- dann sagte die Stripperin zu Rhodey 'Ich bin gar keine Frau' und du hättest sein Gesicht sehen sollen. Genau genommen könnte ich es dir zeigen, ich habe es aufgenommen ...“

Steve nickt etwas benommen und weiß nicht, ob er lachen oder den Kopf schütteln soll. Seit Stark ihn nicht mehr für einen unsympathischen Volltrottel zu halten scheint, hat er es sich angewöhnt, häufiger mit Steve zu reden. Das Problem daran ist, dass Stark viel redet. So viel, dass es in den meisten Fällen zu Monologen ausartet. Nicht, dass Steve ein Problem damit hat – er mag es, anderen zuzuhören. Vor allem, seit er aus dem Eis aufgewacht ist. Es gibt ihm die Möglichkeit, zu beobachten, zu lernen, besser einzuschätzen. Doch die Dinge, die Stark erzählt …

„Tony, du bringst den Captain in Verlegenheit.“

Pepper tritt zwischen Stark, sein gezücktes Telefon und Steve mit dem erfahrenen Lächeln einer Person, die mit Schadensbegrenzung vertraut ist. Wie immer sieht sie hinreißend aus.

„Bringe ich nicht! Ich wollte Cap nur eben zeigen-“

„Genau das meinte ich.“ Pepper zupft Starks Krawatte und Anzug zurecht, bevor sie sich wieder an Steve wendet. „Es tut mir Leid, Captain, aber ich muss Tony leider zu einer Aufsichtsratsitzung entführen.“

„Tatsächlich?“, fragen er und Stark gleichzeitig. Pepper lächelt amüsiert und nickt.

„Viel Spaß“, wünscht Steve zur gleichen Zeit in der Tony „Pepper!“ mault. Dass sie ihn am Kragen packt und erbarmungslos mit sich zieht, scheint ihn jedoch nicht wirklich zu stören. Stark schenkt Steve ein Achselzucken und ein schräges Grinsen, bevor er mit seinen Fingern zum Abschied wedelt und sich davonschleppen lässt. Schmunzelnd sieht Steve den beiden hinterher ...

„Du hast es also geschafft, hm?“

… und zuckt heftig zusammen. Natasha ist unbemerkt nähergekommen, steht mit verschränkten Armen neben ihm und starrt ungerührt in die Richtung, in der das Pärchen verschwunden ist. Manchmal jagt sie selbst Steve mit ihrer schleichenden Art Angst ein.

„Was?“, fragt er perplex, als ihr Kommentar schließlich durchgesickert ist.

„Stark. Er fängt an sich zu integrieren.“

„Ja, er- Wir hatten neulich ein Gespräch und ich denke, ich bin ein wenig zu ihm durchgedrungen.“

„Was hast du gesagt? Er ist normalerweise nicht der Typ, der sich von Worten beeindrucken lässt.“

„Ehrlich gesagt bin ich mir da nicht so sicher. Ich habe ihm ans Herz gelegt, sich mehr auf das Team einzulassen, uns zu vertrauen … und dann kamen wir auf seinen Vater zu sprechen. Er schien der Ansicht, dass ich sie miteinander vergleiche, was ich ihm sofort wieder ausgeredet habe.“

„Hm … Clever.“

„Warum?“, fragt er unwillkürlich neugierig. Seit ihrer Unterhaltung hat er gerätselt, was es mit Starks Verhalten auf sich hat. Die Sache beschäftigt ihn mehr als er zugeben möchte.

Natashas Augenbraue wandert in die Höhe. „Niemand hat es dir gesagt, oder?“

Es ist mehr eine Feststellung als eine Frage.

„Was?“

„Tonys Verhältnis zu seinem Vater war … kompliziert.“

Kompliziert, denkt Steve, scheint auf die meisten Dinge zuzutreffen, die mit Tony Stark zu tun haben. „Was genau meinst du damit?“

Doch Natasha sieht ihn einfach nur an, schenkt ihm ihr seltsames, wissendes Halblächeln und Steve schluckt jede weitere Frage hinunter.

*

Ein paar Tage später liegt eine dünne, unauffällige Mappe auf Steves Bett. Obwohl weder eine Notiz noch ein Absender darauf vermerkt ist, ist er sich ziemlich sicher, dass sie von Natasha geschickt wurde. Vor allem, nachdem er die Mappe öffnet und darin Berichte über Stark vorfindet. Es sind nicht die offiziellen Seiten, die er beim ersten Mal bekommen hat. Nein, diese Seiten verraten weitaus mehr über Stark als dieser wahrscheinlich jemals gegenüber Steve – geschweige denn SHIELD – zugeben würde.

Steve fühlt sich ein wenig mulmig dabei, doch er muss es wissen, muss Tony, Stark, endlich besser verstehen lernen, und deshalb setzt er sich hin und liest.

*

Im Nachhinein fühlt Steve sich ziemlich albern, es nicht schon vorher erkannt zu haben.

Abgesehen von den zahlreichen Andeutungen von Miss Potts, jeder Menge gleichgültiger Bemerkungen seitens Stark und der Tatsache, dass wirklich jeder um das Thema herumtänzelt, - abgesehen von all dem hätte ihm allein schon Starks Blick genug verraten müssen. Denn da ist Hoffnung in seinen Augen gewesen. Als habe er schon sehr, sehr lange darauf gewartet, dass irgendjemand zu ihm sagt: "Warum solltest du wie dein Vater sein?"

Was für ein Vater muss Howard gewesen sein, damit sein Sohn so reagiert? Wie oft hat Steve wohl unbewusst in der Wunde nachgebort? Beide Gedanken hinterlassen eine unbestimmte Mischung aus Trauer und schlechtem Gewissen in ihm.

Natürlich spricht er Stark niemals darauf an (wie könnte er? und wozu?), doch es ist schwer, jemanden nicht zu respektieren, der nicht im Schatten anderer stehen möchte. Seinen eigenen Weg gehen wollen - das kann Steve verstehen.

Und wenn er Stark ein klein wenig mehr durchgehen lässt als zuvor - nun ja.

*

„Stark, ich bin noch einmal die Trainingsvideos durchgegangen und ich denke, es ist keine gute Idee ... was zum- Stark?“

Steve bleibt abrupt stehen, sobald er das Chaos in der Werkstatt bemerkt.

Es dauert einige Augenblicke, bis er zwischen umgekippten Werkbänken und Ersatzteilen Tony Stark liegen sieht, der offensichtlich dagegen getorkelt und hingefallen ist. Wenn man danach geht, wie sehr er vor sich hinkichert und die nur noch ein Drittel volle Scotch-Flasche an sich drückt, scheint es ihm allerdings noch gut zu gehen. Sehr gut sogar.

„Stark? Was tust du da?“

Es vergehen noch einmal mehrere Sekunden, in denen Stark nicht reagiert, dann abrupt zu ihm hinübersieht und übertrieben weit die Augen aufreißt.

„JARVIS!“, beschwert er sich und zeigt mit dem nackten Finger auf Steve. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass Cap da ist?“

//Das habe ich, Sir. Sie haben nicht reagiert.//

Stark runzelt die Stirn. „Tatsächlich?“

//Tatsächlich, Sir.//

Steve seufzt, klappt die Unterlagen zu, die er eben noch betrachtet hat, und geht hinüber, um Stark aus dem Gerümpel aufzulesen. Obwohl er ihm die Hand anbietet, kommt keine Reaktion. Kurzerhand packt er seinen Teamkollegen unter den Armen und zieht ihn auf die Beine, wo er schwankend und nur kurz zum Stehen kommt. Dann sackt Stark nach vorne, den Kopf kraftlos an Steves Schulter gelehnt, während er etwas von Wahrscheinlichkeiten und infinitesimal kleinen Chancen brabbelt. Die Alkoholfahne, die Steve dabei entgegen schlägt, raubt ihm fast den Atem.

„Das ist widerlich, Stark. Was ist los?“

Noch immer keine Reaktion. Steve ist kurz versucht, Tony einfach zu schütteln, um zu sehen, ob er noch wach ist oder ob er gleich einen Krankenwagen rufen soll. Stattdessen richtet er seinen Blick zur Decke (etwas, dass er sich trotz zahlreicher spöttischer Bemerkungen seitens Tony nicht abgewöhnen kann) und fragt: „JARVIS, was ist los mit ihm?“

//Es ist keine Seltenheit, dass Mister Stark einen erhöhten Alkoholpegel hat.//

„Ich weiß. Aber das hier ist … anders. Ist etwas passiert?“

//Es tut mir Leid. Ich bin nicht befugt, Sie darüber in Kenntnis zu setzen, Captain.//

Verflixte KI und ihre Loyalität. Steve stößt ein leises, frustriertes Knurren aus und bringt Tony erneut in eine gerade Haltung, als dieser droht ihm aus den Armen zu rutschen. Sein Gesicht ruht glühend warm an Steves Halsbeuge, der Bart kratzt auf seiner Haut und Steve fragt sich, warum eigentlich immer er in solche Situationen gerät.

„Vielleicht sollten wir Ms. Potts anrufen ...“, murmelt er vor sich hin.

//Davon würde ich abraten, Captain.//

Noch bevor Steve fragen kann, warum das keine gute Idee ist (es ist offensichtlich eine gute Idee; Pepper Potts ist wahrscheinlich die einzige Person, die weiß, wie man in solchen Situationen mit Tony umgeht), gerät Leben in das schlappe Bündel in seinen Armen.

„Cap!“, fährt Tony auf und schwankt dabei gewaltig. „Habe ich dich jemals über die Wahrscheinlichkeitstheorie aufgeklärt?“

Steve blinzelt perplex, bevor er blitzschnell nach Tonys Oberarm greift, damit dieser nicht umkippen kann. „Nein …?“

„Es ist faschzi- fassi- faszieee- unglaublich cool. Wirklich“, erläutert Tony und beginnt wieder zu faseln: von Quotienten, Wahrscheinlichkeitsräumen, Würfeln, Münzen und Quanten. Steve ist nicht schlecht in Mathematik, doch was er von Tonys Wirrwarr aufschnappt, geht weit über das hinaus, was er jemals gelernt hat. Es hilft auch nicht, dass Tony dabei immer wieder Einwürfe bringt wie „Notier das, JARVIS!“, mit den Händen wedelt oder einen Schluck aus der Scotch-Flasche nimmt.

„Ich fürchte, ich habe kaum etwas verstanden.“

„Ist nicht schlimm, Cap.“ Die Flasche in Tonys Hand stößt dumpf gegen den Türrahmen, als er eine weitere ausladende Bewegung macht. „Das Wichtige ist, dassu damit von praktisch allem die Wahrscheinlichkeit berechnen kannst. Wenn du nur die richtigen Konstanten und Werte kennst.“

„Ah ja?“ Steve versucht interessiert zu klingen, während er Stark wie beiläufig aus der Werkstatt manövriert. Er muss den Mann ins Bett bringen, je schneller, desto besser.

„Mmmmm. Den Ausgang von Kampfsituationen. Deine Überlebenschancen, wenn du Natashas Lieblings-Pumps klauen und in den Müll werfen würdest. Wie wahrscheinlich es ist, dass Tony Stark Scheiße baut. - Ich gebe dir 'nen Tip: sehr wahrscheinlich.“

Tonys Grinsen ist breit und selbstgefällig und so falsch, dass Steve bei aller Verwirrung die Stirn runzeln muss. So hat er Tony noch nie erlebt. Gut, er kennt ihn noch nicht wirklich lange, aber er hat gesehen, wie Tony sich verhält, wenn er trinkt. Dann ist er charmant, witzig und nervtötend, aber das hier ist – armselig, will er beinahe sagen, wenn es nicht so beunruhigend wäre.

„Was ist los mit dir?“

Es muss ernster geklungen haben als beabsichtigt, denn das Grinsen auf Tonys Lippen gefriert. Stattdessen wendet er den Kopf ab, trinkt noch einmal mehrere Schlucke Scotch und hängt mit seinem vollen Gewicht in Steves Armen.

"Ich hatte Recht, das ist alles", murmelt er kryptisch vor sich hin. Steve hat keine Ahnung, was er mit dieser Aussage anfangen soll. Inzwischen haben sie es aus der Werkstatt geschafft und er bleibt ratlos im Flur stehen.

„JARVIS, wo ist …?“

//Im ersten Obergeschoss, die zweite Tür links, Captain.//

„Danke.“

Ohne ein weiteres Wort schiebt, zieht und trägt er Tony die Treppen hinauf bis zu dessen Schlafzimmer, ein kahler, unpersönlicher Ort mit nichtssagenden Bildern an den Wänden und jeder Menge Glas und Metall. Das Bett, das in der Mitte steht, ist jedoch riesig und erfüllt bestimmt den Zweck, den Tony dafür vorgesehen hat (Hinweis: Er dachte dabei wahrscheinlich nicht ans Schlafen). Mit routinierten Bewegungen setzt Steve Tony auf der Bettkante ab und zieht ihm die Schuhe von den Füßen.

Betrunkene Kameraden versorgen liegt Steve genauso sehr im Blut wie mit Geld und Essen haushalten oder das Frühaufstehen. Bucky hatte die Angewohnheit immer genau einen Drink zu viel zu bestellen und es fiel natürlich Steve zu, seinen Freund nach Hause zu bringen. Nicht selten war es genau wie jetzt: Bucky auf seine schmächtigen Schultern gestützt, mit diesem Schürzenjägergrinsen auf den Lippen, mit diesem Funkeln in den Augen, das alles bedeuten konnte (aber in den meisten Fällen für Unheil stand) und - Bucky ist nicht mehr da. Steve versucht das leise Stechen in seiner Brust zu ignorieren und reißt Tony vielleicht etwas zu energisch die Scotch-Flasche aus den Händen.

„Hey, die ist noch nicht leer!“

„Du kannst sie ein andermal austrinken“, erwidert Steve und nimmt sich in Gedanken vor, den restlichen Inhalt der Flasche in die Toilette zu kippen. Wahrscheinlich hat Stark einen Jahresvorrat davon in seinem Keller, aber es geht ums Prinzip. „Du solltest jetzt schlafen.“

Tony schüttelt vehement den Kopf, obwohl seine Augenlider schwerfällig nach unten wandern. „Kann nicht.“

„Warum nicht?“

„Weil die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß ist, dass ich morgen wieder nüchtern bin.“

„Ich fürchte, da musst du durch.“ Steves Lippen entweicht ein spöttisches Pfft und Tony lacht.

„Ja schon, nicht wahr? Schade. Nüchtern sein ist so furchtbar. Furchtbar anstrengend, mit all den Wahrscheinlichkeiten in meinem Kopf, die leider alle zutreffen.“

„Was denn zum Beispiel?“, hakt Steve nach, halb aus Neugier, halb, weil er ihn dazu bringen will weiter zu reden. Es scheint Stark ruhiger zu machen und lenkt ihn von der Tatsache ab, dass Steve ihm die Beine aufs Bett zieht und die Decke über ihm ausbreitet.

„Ich habe da diese persönliche Gleichung aufgestellt. Die Stark'sche Wahrscheinlichkeitstheorie für Zwischenmenschlichkeiten“, faselt Stark vor sich hin, ein seltsam ironisches Lächeln im Gesicht, während seine Fingerkuppe einen langsamen Rhythmus auf seinem ARK-Reaktor tippt. „Es ist wirklich clever, Cap. Vielleicht sollte ich unter die Philosophen gehen. Oder eine neue Wissenschaft begründen, die Mathematik und Existenzfragen vereint und dafür noch einen dieser glitzernden, nutzlosen Preise abstauben. Du könntest ihn haben, wenn du willst. Bei mir stauben sie eh nur ein oder ich verwende sie als Unterlage für meine Vorrichtungen-"

"Stark."

"Hm? Ach ja, die Theorie, nicht wahr? Die Wahrscheinlichkeit für Zwischenmenschlichkeiten. Ich hatte mir überlegt ... Wenn- wenn du den Zeitquotienten nur hoch genug ansetzt … wenn du lange genug wartest … eine Woche, einen Monat, ein Jahr … dann gehen sie alle.“

„Wer?“

„Die Menschen in deinem Leben“, erklärt Tony leise und sieht in dem Moment so verloren in dem riesigen Bett aus, dass Steve schlucken muss.

„Aber es gibt doch auch Ausnahmen, oder? Lieutenant Colonel Rhodes.“

„Stimmt. Rhodey. Eine Ausnahme, bei der sich noch zeigen muss, wie hoch der Zeitquotient sein muss, um die Gleichung zu erfüllen. Oder wie sehr ich ihn nerven muss.“ Wieder lacht er, halbherzig und hohl, und es klingt furchtbar in Steves Ohren.

„Miss Potts“, schiebt er deshalb schnell hinterher und hofft, Stark damit aufzumuntern. Der Finger auf Tonys Brust hält in seiner Bewegung inne.

„Peps. Die Ausnahme der Ausnahmen“, nickt Tony, ohne Steve dabei anzusehen. Er nimmt den Finger von seiner Brust, rutscht tiefer in die Kissen und zieht sich die Bettdecke über die Schultern, noch während er Steve den Rücken zudreht. „Immerhin habe ich Pepper.“

Eine ganze Weile ist nichts zu hören außer Tonys leisem, unregelmäßigem Schnaufen. Vielleicht ist er schon eingeschlafen, vielleicht auch nicht. Es sieht auf jeden Fall nicht so aus, als ob er sich heute Nacht noch einmal regen wird. Steve hat ihn erfolgreich ins Bett verfrachtet – Mission beendet. Trotzdem bleibt er noch eine Weile (länger als er zugeben will) an dessen Bett stehen und versucht den Klang von Tonys bissigem Gelächter abzuschütteln.

Als er sich endlich doch von der Stelle rührt, bittet er JARVIS ihn anzurufen, falls Stark noch einmal seine Hilfe benötigen sollte. Der Anruf kommt nie. Steve wird dennoch das Gefühl nicht los, dass es ein Fehler war, ihn allein zu lassen.

*

Pepper Potts erscheint nicht mehr zusammen mit Tony bei SHIELD und Steve erfährt erst Tage später den Grund dafür.

POTTS & STARK – IHRE LIEBE HATTE KEINE CHANCE, liest er auf dem Titelblatt eines der überbunten Magazine, die in den SHIELD-Aufenthaltsräumen ausgelegt sind. Darunter ist ein Foto von Tony und Pepper, beide sichtlich angespannt, während Pepper sich etwas (eine Träne?) aus dem Auge wischt. Noch etwas weiter darunter steht in kleinerer Schrift: Hat er sie betrogen?

„Ich hab gehört, es war eine Stewardess. Eine scharfe Stewardess aus seinem eigenen Privatjet.“

Steve sieht auf, nur um gerade noch das seichte Grinsen im Mundwinkel eines SHIELD-Agenten aufzuschnappen, bevor dieser zum Kühlschrank geht und sich eine Flasche Wasser herausholt. Als der Agent (Guerra? Garner? Gomez? Irgendetwas mit G.) sich wieder umdreht und in Richtung des aufgeschlagenen Artikels nickt, zieht Steve fragend die Augenbraue hoch.

„Woher wollen Sie das denn wissen?“

„Man hört halt so Dinge.“ Agent Guerra-Garner-Gomez zuckt die Achseln und nimmt einen Schluck aus seiner Flasche. „Jeder hat seine Theorie dazu, aber die meisten sind sich einig, dass er sich eine Neue geangelt haben muss.“

„Aber Sie wissen es nicht sicher.“

„War doch nur eine Frage der Zeit. Stark hat einen höheren Frauenverschleiß als ich, und das soll etwas heißen.“

Guerra-Garner-Gomez klingt auf eine vage Weise beeindruckt, was Steve dazu veranlasst, die Zeitschrift genervt zuzuschlagen. Stirnrunzelnd betrachtet er noch einmal das Titelblatt und das Bild des ehemaligen Paares.

„Ich weiß nicht. Er wirkte … glücklich mit ihr“, sagt er nachdenklich. Wenn er darüber nachdenkt, hat er Tony in der kurzen Zeit, die er ihn kennt, nur selten wirklich entspannt oder gar zufrieden gesehen. Wenn er jedoch mit Pepper zusammen war, hatte er dieses Funkeln in den Augen und dieses Grinsen im Gesicht. Nicht das spöttische, das er für alles und jeden sonst übrig hat. Ein aufrichtiges, fast schon jungenhaftes Lächeln - und den Blick eines Mannes, der alles für die Frau neben sich getan hätte.

Wieder ein Achselzucken. „Dann war sie es eben nicht mit ihm.“

„Hm“, macht Steve. Ihm fällt dieser Abend ein - Tony, betrunken und seltsam verloren in seinem kalten, unpersönlichen Schlafzimmer - und er ist sich nicht mehr sicher, was er glauben soll.

*

„Hi.“

„Verschwinde.“

Stark blickt nicht einmal von der Maschine auf, in der er gerade bis zu den ellbogentief steckt und an etwas herumschraubt. Unerträglich laute Musik – oder das, was Tony dafür hält – kommt kreischend aus allen Lautsprechern in der Werkstatt.

„JARVIS, hatte ich dir nicht befohlen niemanden herein zu lassen?“

//Captain Rogers hat insistiert, dass es sich um eine wichtige Avengers-Angelegenheit handelt, Sir.//

„Tja, Captain Rogers hat gelogen“, giftet Stark, zieht eine Schraube besonders kraftvoll an und wischt sich mit der Hand über das Gesicht. Schwarze Streifen aus Maschinenöl bleiben auf seiner Stirn zurück. „Ich habe nämlich keine Nachricht von Fury oder SHIELD erhalten.“

„Es war nicht gelogen.“ Nicht wirklich. Auch wenn er noch immer gerne so tut, als wäre das nicht der Fall, ist Tony Stark ein Teil der Avengers. Steve fühlt sich verantwortlich für ihn und er will sicher gehen, dass mit ihm alles in Ordnung ist.

„Wie geht es Pepper?“, fragt er gerade heraus und ist nicht überrascht, als Stark kurz inne hält, nur um danach noch tiefer in der Maschine zu verschwinden.

„Sie ist in Malibu. Stark Industries-Kram erledigen. Abstand gewinnen. Was man so nach einer gescheiterten Beziehung macht.“

„Es tut mir Leid.“

„Spar dir das, Cap. Ich brauche dein Mitleid nicht. Musste irgendwann so kommen. Wir bleiben trotzdem Freunde.“

Stark leugnet nichts, klingt gleichgültig und gelassen, doch Steve erinnert sich an dessen betrunkene Worte in jener Nacht: Wie wahrscheinlich es ist, dass Tony Stark Scheiße baut. - Ich gebe dir 'nen Tip: sehr wahrscheinlich.

„Wo ist Lieutenant Colonel Rhodes?“, fragt er.

„Ausland“, erwidert Tony kurz angebunden, was Steve in seiner Vermutung bestätigt, dass Tony Stark niemanden hat, der ihm Gesellschaft leisten wird. Niemanden außer einer Handvoll Roboter und einer Butler-KI. Vielleicht hat Stark es sich selbst zuzuschreiben, dass Pepper gegangen ist, vielleicht auch nicht. Aber selbst jemand der Mist gebaut hat, verdient es, in solch einer Situation nicht allein zu sein.

„Hast du in den letzten Tagen überhaupt die Werkstatt verlassen? Gegessen? Geduscht?“ Steve betrachtet noch einmal Starks Erscheinung: die gammeligen Jeans, das verschmierte T-Shirt, die zerzausten Haare und der ungepflegte Drei-Tage-Bart, die fast leere Scotch-Flasche auf der Werkbank neben ihm. Wohl eher nicht. „Ich habe Pizza dabei.“

„Verschwinde“, sagt Stark noch einmal, doch es ist kein wirklicher Elan dahinter. Als sich Steve wortlos auf das Sofa in der Ecke der Werkstatt pflanzt und den Pizza-Karton öffnet, wendet Stark sich wieder seinem Auto zu um weiterzuarbeiten.

*

„Schon wieder hier?“

„Selbst ich kann nach einem halben Jahr nicht immer nur im SHIELD-Hauptquartier herumsitzen. Agent Coulson mag es nicht, wenn ich unbeaufsichtigt durch die Stadt ziehe, aber da du ebenfalls zu den Avengers gehörst ...“

Steve setzt sich auf das Sofa und schlägt demonstrativ seinen Zeichenblock auf. Er spürt Tonys Blick auf sich ruhen, bis das Schlurfen von Schuhen ihm verrät, dass er ihm wieder den Rücken zugekehrt hat.

„Hn.“

*

Nach dem dritten Mal hört Stark auf zu fragen und Steve wird bewusst, dass er die Besuche bei ihm tatsächlich als eine angenehme Abwechslung zum SHIELD-Alltag empfindet.

Steve bringt Essen mit und zeichnet, Stark brummt und arbeitet. Manchmal fängt er aus dem Blauen heraus an zu reden, erzählt von einem seiner Projekte, an denen er gerade arbeitet. Stark benutzt zu viele Fachausdrücke, als dass er ihn verstehen könnte, doch Steve hört jedes Mal aufmerksam zu. Manchmal winkt Stark ihn herüber und zeigt ihm eines seiner zugegebenermaßen wunderschönen Autos, öffnet die Motorhaube, erklärt die grundlegenden Konzepte eines Motors.

Sie reden nie über die Sache mit Miss Potts und Steve fragt nicht nach. Nicht, nachdem Stark bei seinem betrunkenen Aussetzer so hilflos ausgesehen hat. Nicht, nachdem Steve jetzt den Grund dafür kennt. Steve ist sich nicht sicher, ob Stark sich überhaupt noch an den Abend erinnert. Vorsichtshalber spricht er ihn trotzdem nicht an.

Aber das ist auch nicht Sinn der Sache. Sinn der Sache ist, dass Stark nach dem fünften Tag wieder rasiert in der Werkstatt steht. Nach dem sechsten ist die Scotch-Flasche verschwunden. Nach dem siebten bringt er Stark dazu, die Werkstatt zu verlassen.

*

„-aber sie sind Geschwister!“

„Ach komm, Cap, wenn Leia deine Schwester wäre, wärst du auch nicht abgeneigt.“

„Wofür hältst du mich? Und was ist mit Han, er-“

„Shh, hör auf zu moralaposteln, da kommt gleich eine coole Stelle.“

*

Steve wird sich erst im Nachhinein bewusst, dass während seiner Zeit in der Werkstatt aus Stark irgendwann Tony wird. Der Namenstausch kommt schleichend und unerwartet, doch Steve nimmt ihn an wie den Wechsel von seiner gebrechlichen Gestalt zu der von Captain America: unbewusst, verwundert, aber mit dem sicheren Gefühl, dass es irgendwie richtig ist.

Vorurteil - Teil 2

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