ayascythe: Pink Reaper (Iron Man ARC reactor)
[personal profile] ayascythe
Autor: [livejournal.com profile] ayascythe
Fandom: The Avengers (MCU)
Pairing: Steve Rogers/Tony Stark
Rating: R (NC-17 für das letzte Kapitel)
Language: Deutsch/German
Wortanzahl: 45.242
Einstufungen/Warnungen: Mystery, Drama, Angst, Slash
Beta: [livejournal.com profile] 3ngel
Disclaimer: Das Avengers-Universum gehört Marvel und jegliches Copyright liegt bei ihnen. Ich habe mir lediglich die Charaktere ausgeliehen, um ein bisschen mit ihnen zu spielen. Ich mache hiermit kein Geld.

Prolog | Kapitel 1: Wahrscheinlichkeiten | Kapitel 2: Finsternis | Kapitel 3: Schlaflos | Kapitel 4: Vertigo | Kapitel 5: Stille | Kapitel 6: Sturm | Kapitel 7: Narben | Epilog

AO3 | FF.de
Fanart-Masterpost von [livejournal.com profile] sweetestremedy: LJ | AO3


Kapitel 5: Stille

Hören Sie denn nichts? hören Sie denn nicht die entsetzliche Stimme, die um den ganzen Horizont schreit und die man gewöhnlich die Stille heißt?
— Lenz, Georg Büchner


"Tony. Hey."

Das sanfte Klopfen gegen die Glasscheibe ließ ihn aus einem unruhigen, leichten Schlaf auftauchen. Er hatte geträumt, doch er war sich nicht sicher, ob er sich daran erinnern wollte.

"Du bist mitten im Satz eingeschlafen", erklärte Steve mit einem freudlosen Lächeln. In letzter Zeit hatte Tony ihn nur noch selten lächeln sehen und wenn er ehrlich war, dann war es das, was ihm am meisten fehlte. Was ihm die Kehle zuschnürte, wenn er in Steves unnatürlich blasses Gesicht sah. "Du solltest ins Bett gehen."

"Schon okay", winkte Tony ab, während er sich den Schlaf aus den Augen rieb. "Ein, zwei - fünf Tassen Kaffee und ich bin wieder ganz der Alte."

Vielleicht konnte er Bruce dazu überreden ihm eine ganze Kanne zu bringen, ohne sich wieder anhören zu müssen, wie wichtig richtiger Schlaf doch war. Für jemanden, der selbst so gut wie im Labor lebte, nahm Bruce den Mund ganz schön voll.

"Tony? Gibt es eigentlich einen Plan B?"

"Plan B wofür?", murmelte er, während er sich weiter die Augen rieb.

"Für den Fall, dass Thor nicht kommt."

Er erstarrte, ließ die Hände sinken. Steve saß ruhig da, musterte ihn und schien keinesfalls Witze zu machen. Tony wusste nicht, was er erwartet hatte – die Frage musste früher oder später kommen. Nach all der Zeit, die bereits verstrichen war, war es durchaus legitim sich darüber Gedanken zu machen. Trotzdem. "Sag das nicht. Thor ist bestimmt schon unterwegs."

"Ja, aber was, wenn nicht? Was, wenn er zu spät kommt?" Steve senkte den Blick auf seine verschränkten Finger. "Ich sage ja nicht, dass es so sein wird, aber nur für den Fall ... Für den Fall, dass wir kein Gegenmittel finden und falls- wenn ich außer Kontrolle gerate und nicht mehr ich selbst bin. Gibt es einen Plan B?"

Verdammt, das war nicht fair. Tony war zu groggy für solche Fragen; es war zu schwer, dabei sein Pokerface aufrecht zu erhalten. "Was wäre, wenn nicht?"

"Dann musst du mir etwas versprechen."

In Steves Augen lag Entschlossenheit gepaart mit Resignation und das war eine Mischung, die niemals etwas Gutes ahnen ließ. Tony kannte sie nur zu gut aus dem Spiegel, aus den Momenten, kurz bevor er etwas Dummes in die Tat umsetzen wollte. Unwillkürlich lehnte er sich weiter vor. "Und das wäre?"

"Ich muss mich darauf verlassen können, dass mich jemand aufhält. Es ist mir egal, wie du das anstellst. Es ist mir egal, wie das endet. Aber wenn jemand aus dieser Sache nicht heil herauskommt, dann wäre es mir lieber, das wäre …" Steve sprach den Rest des Satzes nicht aus, aber das musste er nicht.

"Weißt du eigentlich, was du da sagst?"

"Du kennst meine Kräfte, Tony. Ich habe in diesem Zustand schon Menschen verletzt. Ich habe dich verletzt." Über sein Gesicht huschte ein Schatten, der Geist einer schmerzhaften Erinnerung, doch seine Stimme ließ keine Widerrede zu. "Wenn ich einem von euch schaden würde, dir, einem Zivilisten - das könnte ich mir nie verzeihen."

"Scheiße, Cap", lachte Tony. Seine Hände zitterten auf einmal so sehr, dass er sie um die Sitzfläche seines Stuhls klammern musste. "Da bist du beim Falschen gelandet. Sterbehilfe steht nicht in meinem Heldenprofil. Dafür bin ich viel zu egoistisch, das weißt du doch."

"Du bist der einzige, den ich darum bitten kann."

"Natasha und Clint sind ausgebildete-"

"Natasha und Clint sind immer noch Menschen und haben keine Rüstung, die sie schützt. Genau so wenig wie Bruce. Thor und der Hulk würden es nicht verstehen. Aber du ..."

"Ich bin skrupellos genug, ja?", schnappte er und krallte sich noch fester in den Stuhl. "Ist es das? Weil ich eine rücksichtslose Maschine bin?"

"Weil du ehrlich genug bist." Steves Lächeln war entschuldigend klein und wehmütig. "Weil du vor allen anderen erkennst, wann eine Situation verloren ist, und wann es Zeit ist, Opfer zu bringen."

"Da irrst du dich", sagte Tony gepresst, während sein Blick an Steves Lippen hängen blieb. "Ich bin alles andere als ehrlich. Und ich bringe keine Opfer. Ich schneide den Draht immer durch, schon vergessen?"

"Ich habe mich nie dafür entschuldigt." Tony sah fragend auf. "Für die Dinge, die ich damals auf dem Helicarrier gesagt habe. Und dann bist du mit dieser Rakete durch das Portal geflogen und ich dachte, du wärst tot und- es tut mir Leid, Tony. Du tust oft dein Bestes, es zu verstecken, aber du bist ein Held. Weil du die schwierigen Entscheidungen triffst. Genau deshalb musst du das für mich tun. Ich vertraue dir. Mit meinem Leben."

"Und Steve? Ich vertraue dir. Mit meinem Leben."

Nein. Nein, nein, nein. Verdammter Mistkerl.

Es war vielleicht das Beste, was Captain America jemals zu ihm gesagt hatte. Das Beste und das Schlimmste. Tony wollte sich in Scotch ertränken, bis seine Leber versagte, nur damit er es wieder vergessen konnte. Damit er die Möglichkeit vergessen konnte, dass Steve vielleicht nicht heil aus dieser Sache herauskommen würde. Damit er vergessen konnte, dass Steve ausgerechnet ihm zutraute ihn umzulegen. Konnte er Captain America eine solche Bitte abschlagen? Konnte er Steve diese Bitte abschlagen? Was zur Hölle sollte er darauf sagen?

"Ich habe Angst, Tony." Es war ein so simples Eingeständnis. Aber aus Steves Mund, nach all den Wochen stoischer Schweigsamkeit, war es wie ein Schlag in Tonys Magengrube. "Du weißt nicht, wie das ist. Jedes Mal, wenn ich aufwache, weiß ich nicht, ob es das letzte Mal ist. Ob ich mich nicht diesmal verlieren werde."

Tony schüttelte den Kopf. Ein tonnenschwerer Klumpen aus Schuld steckte ihm in der Kehle und er hatte das Bedürfnis zu schreien.

Ich kann das nicht. Ich will das nicht.

"Versprich es mir." Steve legte seine rechte Hand vorsichtig gegen die Scheibe. "Bitte."

Und natürlich, natürlich stand es nie außer Frage, dass Tony trotzdem das tat, was Steve Rogers von ihm erwartete. Weil Steve Rogers immer das Meiste, das Beste von ihm erwartete und Tony stets folgen würde. Selbst wenn es bedeutete, ihn zu töten.

"Okay", raunte er heiser und legte seine rechte Hand ebenfalls gegen die Scheibe. Ein Handschlag ohne Berührung. Und scheiße, wenn das nicht irgendeine ironische Symbolik mit sich trug, wollte Tony seinen Lieblingsmustang verscherbeln.

"Oi!" Clints Stimme platzte in den Moment herein wie ein Bulldozer in ein Blumenbeet. Sie zuckten beide von der Scheibe zurück, sahen sich entgeistert um, bis ihnen klar wurde, dass Clint sich über die Lautsprecher gemeldet hatte.

"Leute, da ist ein Gewitter westlich von New York, das ihr euch ansehen solltet."

Entnervt seufzte Tony auf, rieb sich die Stirn und schwor insgeheim, dass er Clint dafür einen Stinkpfeil in den Köcher schmuggeln würde. "Und warum sollen wir uns für ein verdammtes Gewitter interessieren?"

"Weil", knackte Bruces Stimme dazwischen, "sich im Herzen dieses Gewitters gerade eine Einstein-Rosen-Brücke gebildet hat."

*

Tony sah schon von weitem, dass es sich bei dem "Gewitter" tatsächlich keineswegs um ein normales Phänomen handelte: Über einer Ansammlung von Lagerhäusern - und nur über diesen Häusern - türmten sich kilometerhohe, dunkle Wolken, in denen immer wieder Blitze zuckten.

"JARVIS, was ist mit der Einstein-Rosen-Brücke?"

//Das Signal wird kontinuierlich schwächer. Sie ist dabei, sich zu schließen.//

Tony schickte einen Energieschub in die Repulsor-Antriebe seiner Stiefel und raste von grollendem Donner begleitet auf die Stelle zu. Er war keine hundert Meter von der blinkenden Markierung auf seiner Karte entfernt, als ein riesiger Blitz direkt vor ihm aus dem Himmel schoss. Statische Ladung fuhr knisternd über ihn hinweg, als er mehr aus einem Reflex heraus dicht an dem Blitz vorbeizog. Seine Anzeigen blinkten auf.

"Wen haben wir denn da", murmelte er im gleichen Augenblick, in dem über ihm ein ohrenbetäubender Donner ertönte und sich der Rest der Einstein-Rosen-Brücke in Luft auflöste. Wenige Augenblicke später brach wie erwartet eine Gestalt mit flatterndem Umhang durch die Wolkendecke hindurch. Sie zischte an Tony vorbei und mehrere hundert Meter in die Tiefe. Zuerst schien sie Iron Man nicht zu bemerken, doch ein Schub der Repulsoren beförderte Tony genau in ihre Sichtlinie. Thor bremste seinen Flug, sah ihn erstaunt, dann freudig an.

"MANN AUS METALL!", rief er so enthusiastisch, als hätte er Tony eben nicht beinahe gegrillt.

"Hallo Großer", sagte er, während er seine Gesichtsplatte hochklappte und ein Grinsen aufsetzte. "Wie ich sehe, hast du unsere Nachricht bekommen."

Erst da wurde ihm bewusst, dass Thor nicht allein war: Die Hand, die nicht Mjölnir umklammerte, hielt mit eisernem Griff den Oberarm seines Bruders fest. Loki, weder gefesselt noch geknebelt und für Tonys Geschmack viel zu wohlauf, warf ihnen beiden gelangweilte Blicke zu. Tonys Grinsen gefror auf seinem Gesicht. Es kostete ihn einiges an Überwindung, nicht an Ort und Stelle all seine Waffensysteme auf Loki zu richten.

"Und wie ich sehe, bist du nicht alleine", schob er säuerlich hinterher.

"Wie ich sehe, sind die Bewohner Midgards immer noch schwer von Begriff", murmelte Loki gut hörbar vor sich hin.

"Heimdall hat mir eure Nachricht zukommen lassen", sagte nun auch Thor – betont ruhig, doch in seiner Stimme grollte eine Warnung mit, die wohl für sie beide galt –, "es heißt, dass ihr in einer misslichen Lage seid."

Er schob sich demonstrativ ein Stück vor seinen Halbbruder, um zu zeigen, dass Loki unter seinem Schutz stand. Einen Moment lang starrten sie sich alle an, bis Tony schließlich seufzend nachgab und seine Gesichtsplatte herunterklappen ließ.

"Mir nach."

*

"Ihr habt es geschafft. Thor ... Loki."

Bruce verbarg erfolgreich das Holpern in seiner Stimme, als die Truppe auf dem Dach des Towers landete und sein Blick auf Thors Bruder fiel. Dass er sich dennoch alles andere als wohl fühlte, konnte ein Blinder mit Krückstock sehen. Das Gefühl schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen, denn Loki beäugte Bruce mit Etwas, das man wohl als Misstrauen bezeichnen konnte. Tony grinste hämisch. Das Loki-förmige Loch in seinem Wohnzimmerboden war eines der letzten Dinge, die er bei der Renovierung hatte in Ordnung bringen lassen. Der Anblick hatte ihm einfach zu viel Genugtuung bereitet.

Bruce begann die Kurzfassung der Geschichte zu erzählen, während sie das Innere des Towers betraten. Tony – noch immer in seiner Rüstung – folgte ihnen mit lauten, klobigen Schritten durch die Gänge, während Loki sich mit mildem Interesse umsah. Ihm entging nicht das Aufblitzen in seinen Augen, als Bruce ihre Theorie zu Vili und Vé äußerte.

"Unser Vater hat nie viel von seinen Brüdern erzählt, aber es ist möglich", räumte Thor nachdenklich ein.

"Alles ist möglich", sagte Loki mit etwas auf den Lippen, das beinahe ein Lächeln war, und ging weiter.

Clint und Natasha erwarteten sie bereits bei Steves Zelle. Ihre Gesichter waren ernst und ihre Körperhaltung angespannt, doch Thor nahm davon kaum Notiz. Er trat nach vorne, stirnrunzelnd, besorgt, und der Griff um seinen Hammer wurde noch eine Spur fester.

"Steven!"

Steve stand von seinem Bett auf und lächelte Thor auf diese verlegene Weise an, die "Tja, was soll ich sagen?" ausdrücken sollte. Aber in seinen Augen lag ein leichtes Funkeln, voller Überraschung und - Interesse? Okay. Tony verstaute die Beobachtung in eine der vielen Boxen in seinem Kopf, die mit "Der Andere" beschriftet waren.

"Was macht der denn hier?", fragte Clint gefährlich ruhig, nickte in Richtung Loki. Die Finger seiner rechten Hand zuckten. Natasha legte ihre Hand auf Clints Unterarm, eine kaum wahrnehmbare, aber unmissverständliche Geste sich zurückzuhalten. Steve, weil er Steve war und es nie lassen konnte zu schlichten, trat näher an die Scheibe, nur um dann hilflos davor stehen zu bleiben.

Thors Lächeln war eine Mischung aus Entschuldigung, stiller Warnung und Friedensangebot in einem. (Tony kannte den Blick von Pepper, wenn sie für ihn mit aufgebrachten Geschäftspartnern reden musste. Diese Mischung aus entnervter Zuneigung, Stockholm Syndrom und "Ich weiß, dass dieser Mann wahnsinnig ist, aber das heißt nicht, dass ich ihn nicht verteidigen werde".)

"Ich bin leider nicht sehr bewandert, was die magischen Künste angeht. Das war seit jeher das Handwerk meines Bruders. Deshalb hat er mich auf meine Bitte hin begleitet."

Alle Blicke richteten sich auf Loki, der es schaffte, trotz oder vielleicht gerade wegen der offensichtlichen Feindseligkeit äußerst selbstgefällig und süffisant die Augenbrauen zu heben.

"Bevor ihr fragt: Ja, ich bin auf Bitte meines Bruders hier. Und ob ihr es glaubt oder nicht, ich habe tatsächlich Interesse daran euch zu helfen."

"Du hast Recht: Warum sollten wir dir glauben?", frotzelte Clint.

"Oh, es gibt viele gute Gründe. Vielleicht ist es Großmut? Schiere Neugier oder Langeweile? Oder die Genugtuung, dass ausgerechnet die Rächer auf meine Hilfe angewiesen sind? Ganz gleich, was ich euch sage, lasst mich euch eines fragen: Spielt es eine Rolle, weshalb ich hier bin?"

"Er hat Coulson getötet", sagte Natasha, die das ganze mit unleserlicher Miene mitverfolgt hatte. Sie hätte viele Gründe aufzählen können, warum sie Loki misstrauen sollten Doch Coulsons Tod war für die Avengers anders, ein kleines bisschen schmerzvoller als der Rest, weil es persönlich war.

Loki war ein schmieriger Bastard und nicht einmal halb so gut wie Coulson es gewesen war. Also warum sollten sie dem Lügengott Vertrauen oder Glauben schenken? Tony sah hinüber zur Zelle und fand seine Antwort in Steves müden Augen, in den gedrungenen Schultern, in dem bitteren Zug um dessen Lippen.

Weil er ihn retten kann.

"Wir sollten uns anhören, was er zu sagen hat. Loki ist nicht nur der einzige, der sich mit Magie auskennt, sondern auch mit dem Tesserakt", sagte Bruce und nahm Tony damit die Pflicht, das Notwendige auszusprechen. Er fühlte eine Welle der Dankbarkeit.

"Oh, aber was, wenn ich nicht will?" Eine sichtbare Anspannung ging durch die Runde als Loki den Kopf schüttelte, leise in sich hineinlachte und langsam an jedem einzelnen der versammelten Rächer vorbeischritt. Vor Steves Zelle blieb er stehen und legte den Kopf schief, musterte den Supersoldaten hinter der Scheibe. Und da war es wieder: dieses seltsame Funkeln in Steves Augen. Dieses Mal lag etwas Abschätzendes darin – Faszination, Erstaunen, Berechnung –, dann war die Gefühlsregung wieder verschwunden. Das ganze ging so schnell, dass Tony nicht wusste, ob es nicht nur Einbildung war. "Ich sagte, dass ich Interesse habe, euch zu helfen. Das heißt nicht, dass ich es auch tun werde. Ihr habt selbst zugegeben, dass ihr keinen Grund habt mir Glauben zu schenken. Welchen Grund hätte ich, euch zu helfen? Thor mag mich hierher gebracht haben, aber er kann mich nicht zwingen zu zaubern."

"Loki." Thor griff nach dem Arm seines Bruders. Es lag etwas Eindringliches in seiner Stimme, untermalt von etwas, das vielleicht Hoffnung, vielleicht eine Bitte war. Kurz empfand Tony Mitleid - Thor schien trotz allem immer noch an Loki zu glauben. Höchstwahrscheinlich vergebens.

"Weil wir dann in seiner Schuld stehen." Das Funkeln in Natashas Augen hatte etwas Katzenartiges. "Deshalb willst du uns helfen, nicht wahr?"

"Wir schulden ihm gar nichts", schnappte Clint. "Nach all dem, was er getan hat, schuldet er eher uns etwas."

"Clint", sagte Steve warnend.

"Sag mir nicht, dass ich nicht Recht habe, Cap!"

"Lass die Spielchen, Bruder", grollte Thor eine Spur lauter, doch Loki lachte nur auf.

Tony bewegte sirrend die Finger in seiner Rüstung, schloss die Augen und versuchte das Gezanke auszublenden. Sie hatten keine Zeit für diesen Unsinn. Steve hatte keine Zeit.

"Dann schulde eben ich Loki etwas", verkündete Tony kurzerhand in die Runde und erntete dafür tatsächlich Schweigen. Zumindest so lange, bis Steve wie erwartet Einspruch erhob.

"Tony, lass es."

Aber Tony war schon lange nicht mehr aufzuhalten. Genervt trat er vor und drückte seinen Zeigefinger in Lokis Brust. "Nein! Nein, wenn es das ist, was er will: bitte. Hiermit schulde ich, Tony Stark, dir, Loki Größenwahnsinn, einen Gefallen. Wenn du willst, lasse ich dir von Pepper sogar einen Vertrag aufsetzen, mit Pargraphen und all dem Blahblah, das keiner liest."

Loki sah ihn nachdenklich an, schien seine Worte abzuschätzen, bevor sich seine Mundwinkel langsam und genüsslich nach oben bewegten. Das Psychopathen-Lächeln bereitete selbst Tony einen Moment lang Unbehagen.

"So sei es. Ein Gefallen, zu meinen Bedingungen, zu einem Zeitpunkt meiner Wahl."

"Einverstanden." Für seinen Geschmack schien Loki die Show zu sehr zu genießen. Tony verbiss sich eine schneidende Beleidigung und dachte mit Wehmut an die angebrochene Scotchflasche oben in seinem Wohnzimmer. Wenn das hier vorbei war, würde er sich in seiner Werkstatt einschließen und eingehend mit dem Inhalt seiner Bar befassen. "Und jetzt raus mit der Sprache. Was weißt du?"

Lokis Augen schienen für einen Moment noch ein bisschen grüner zu sein als sonst, während er seinen Blick durch die Runde schweifen ließ. Erst dann ließ er sich zu einer Antwort herab.

"Der Tesserakt ist ein sehr, sehr altes Artefakt. Er ist nicht einfach nur eine Quelle unerschöpflicher Energie, um eure kleinen Maschinen anzutreiben. Odin erzählte mir einst, dass der Würfel Erinnerungen festhält. Wissen. Macht. Und all jene, die mit ihm in Berührung kommen, hinterlassen ihre Spuren."

"Ein Speicher", nickte Tony. Dann stimmten die Theorien seines Vaters also. Loki erhob den Zeigefinger zum Einspruch, wiegte den Kopf hin und her.

"Ja und nein. Selbstverständlich wurde der Würfel auch zur Wissensüberlieferung genutzt, doch das ist beileibe nicht alles. Ich habe gelesen, dass er einst auch als Kerker diente für jene, die sich gegen das Reich Asgards auflehnten oder die der Tesserakt für unwürdig befand. Gehen wir davon aus, dass Rogers' Berührung mit dem Würfel etwas befreit hat, dann ist es wahrscheinlich einer dieser Gefangenen, der jetzt von ihm Besitz ergriffen hat."

"Wer - oder was könnte in diesem Gefängnis festsitzen?" Steve zog die Augenbrauen hoch. Er wusste nichts von ihrer Theorie mit Odins Brüdern. Sie hatten die meisten ihrer Spekulationen vor ihm geheim gehalten, nicht zuletzt, weil sie nicht wussten, wie er darauf reagieren würde. Weil er sie womöglich gegen sie verwendet hätte.

"Es lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, wen oder was der Würfel einfängt, oder wann und wie er sie wieder gehen lässt. Unglückliche Seelen, verurteilte Verräter, Geister."

"Geister", wiederholte Steve ausdruckslos und Loki schmunzelte.

"Was deine Frage betrifft, Captain – ich denke, es ist genau das, was ihr vermutet."

Also doch: Vili. Oder Vé. Loki sprach sie alle an, doch sein Blick galt allein Steve, der plötzlich aschfahl wurde. Es dauerte einige Augenblicke, bis er sich wieder zu fangen schien und nickte. Tonys Blick wanderte misstrauisch zwischen den beiden hin und her. Da war es wieder – dieses Funkeln, dieses unsichtbare Band, als hätten sie ein unausgesprochenes Einverständnis miteinander. Schließlich trat Tony zwischen sie.

"Okay, okay. Angenommen es handelt sich tatsächlich um Besessenheit - durch was auch immer sei dahingestellt. Was könnten wir tun?"

Loki begann, zwischen ihnen auf- und abzugehen, während sein Blick auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne gerichtet war. Er schien ernsthaft versunken in seine Gedankengänge, und Tony wurde klar, dass das hier Lokis Element war, dass er für dieses Wissen lebte, genauso wie sich Tony in Schaltkreisen und Codes vergessen konnte.

"In der Regel bleiben Geister zurück, wenn sie eine unvollendete Aufgabe in ihrer Welt haben. Findet heraus, was das Wesen vorhat und beendet, wofür es gekommen ist. Das wäre die eine Möglichkeit."

Der ARK-Reaktor. Tony unterdrückte den Impuls, sich an die Brust zu fassen, um zu überprüfen, ob er noch da war. "Und was wäre die andere?"

"Die wird euch nicht gefallen." Über Lokis Gesicht huschte ein seltsames Lächeln. "Geister bleiben nur so lange, bis man ihnen zu verstehen gibt, dass ihre Zeit auf Erden vorbei ist. Gebt ihm einen Grund, sich von seiner Hülle zu lösen."

"Das heißt?", hakte Tony nach, obwohl er die Antwort schon erahnte.

"Stirbt der Körper, weiß auch der Geist, dass es Zeit ist zu gehen. Es gibt einen Zauber, der dies dem Geist vorgaukeln kann. Nun ja. Vorgaukeln ist das falsche Wort dafür, denn für einige Augenblicke wäre der Körper tatsächlich tot."

"Verarsch uns nicht", zischte Tony und hatte Loki in einer blitzschnellen Bewegung am Kragen gepackt. Und weil er noch immer in der Rüstung war, konnte er das sogar problemlos. Der Lügengott machte keinerlei Anstalten sich zu wehren. Ganz im Gegenteil funkelte er ihn herausfordernd an.

"Tony."

Bruces Hand landete auf seiner Schulter. Wegen der Rüstung erahnte Tony die Berührung mehr, als dass er sie spüren konnte. Nicht, dass Bruce ihn in normalem Zustand auch nur einen Zentimeter hätte bewegen können. Aber weil es Bruce war, gab er schließlich nach, setzte Loki langsam und widerwillig ab.

Loki lächelte süffisant. "Die Entscheidung ist eure. Aber wenn der Captain seinen Verstand verliert - und das wird er, das versichere ich euch -, wollt ihr dann nicht alles versucht haben, was möglich war?"

Bullshit. Absoluter Bullshit. Es mochte sein, dass Loki die Wahrheit sagte, aber das hieß nicht, dass Tony diesen Schwachsinn akzeptieren würde. Wissenschaft, damit konnte er arbeiten. Magie? Magie bedeutete fragwürdige Rituale mit Blut und Räucherstäbchen durchzuführen und trotzdem nicht zu wissen, ob es funktionierte. Magie war Willkür. Und ein Risiko, das er nicht einzugehen bereit war.

"Ich mache es." Steves Worte waren ruhig. So ruhig, dass Tony im Nachhinein überrascht war, wie laut sie auf ihn wirkten, wie sie die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich zog und ein Raunen durch den Raum ging.

"Wir können uns nicht auf einen Haufen nordischen Aberglaubens stützen", protestierte Tony. Und um nicht vollkommen wie ein trotziges Kind zu klingen, fügte er hinzu: "Schon gar nicht, wenn dabei dein Leben auf dem Spiel steht."

Steves gleichgültiges Achselzucken sorgte dafür, dass ihm die Hutschnur hochging. War er denn der einzige, der die Problematik an Lokis Aussage sah? Schnaubend ging er auf den Supersoldaten zu, bis er nur noch eine Handbreite von der Scheibe entfernt stand.

"Ist dir das denn egal? Würdest du für diesen Aberglauben auch sterben?"

Steve wich nicht zurück, machte im Gegenteil noch ein paar Schritte auf ihn zu. Er stand so dicht vor der Scheibe, dass jeder seiner Atemzüge kurzzeitig das Glas beschlug. Es hätte bedrohlich, herausfordernd wirken müssen. Die dunklen Ringe unter seinen Augen, die Resignation in seinem Blick ließen ihn einfach nur erschöpft aussehen.

"Wenn es sein muss. Wenn es keinen anderen Ausweg gibt. Bevor-", hier sah er Tony mit unlesbaren Augen an, bis er schließlich sagte: "Es ist besser als die Alternative."

Tony versuchte, nicht an das Versprechen zu denken, das er Steve nur wenige Stunden zuvor gegeben hatte. Versuchte sich zu sagen, dass sie bisher getan hatten, was sie konnten. Trotzdem hatte Tony das Gefühl, dass sie zu langsam waren. Dass es seine Schuld war, dass Steve jetzt in dieser Zelle stand und oh, war er darin nicht schon immer großartig gewesen? Schuld anhäufen und Menschen enttäuschen, die sich auf ihn verließen? Menschen, die ihm wichtig waren und die er ... Er suchte nach Worten und fand keine.

"Uns rennt die Zeit davon, oder nicht?" Steve ballte die Hände zu Fäusten. "Je länger wir warten, desto wahrscheinlicher wird es, dass ich vollständig die Kontrolle verliere und desto unwahrscheinlicher wird es, dass ihr mich zurückholen könnt."

Wie um seine Worte zu unterstreichen, drehte er die Innenseite seiner Arme nach oben. Ein Großteil davon war bereits mit Verbänden abgedeckt, doch innerhalb kürzester Zeit waren neue Verbrennungen hinzugekommen, an denen sich die Haut abschälte und aggressiv rote Stellen freilegte. Hinter ihnen zog Thor unwillkürlich die Luft ein. Schuhsohlen scharrten über den Boden, als jemand sein Gewicht verlagerte – vielleicht Clint, vielleicht Natasha –, während Tony verbissen zurückstarrte.

Und so schnell, wie sich die Anspannung zwischen ihnen angestaut hatte, verpuffte sie wieder. Tony ließ die Fäuste hängen, von denen er nicht bemerkt hatte, dass er sie geballt hatte. Steve lächelte, doch es war angespannt, von zu vielen Emotionen überlagert, die da nicht hingehörten: Bedauern, Müdigkeit und, was am schlimmsten war, Akzeptanz. Wie auch immer die Sache ausgehen würde, Steve würde das Ergebnis hinnehmen. Tony konnte ihm nicht in die Augen sehen, als Steve über seine Schulter hinweg Loki zunickte.

"Tu es."

*

"Das gefällt mir nicht." Clint machte den Eindruck, als juckte es ihn danach einen Pfeil durch Lokis Hinterkopf zu jagen, sollte dieser auch nur einen falschen Finger krümmen.

Sie hatten Thors Bruder Zutritt zu Steves Zelle gewährt und schauten nun alle angespannt zu, wie Loki mit geschlossenen Augen etwas vor sich hinmurmelte. Seine langen, schmalen Finger lagen an Steves Schläfe. Offensichtlich war der körperliche Kontakt notwendig, damit der Lügengott seine Tricks durchführen konnte.

"Wir können nichts tun, als ihm zu vertrauen", sagte Bruce, doch die Aussicht ließ ihn nicht besonders glücklich wirken. Nervös knetete er seine Hände und wenn man im richtigen Augenblick hinsah, konnte man sich einbilden, einen grünen Schatten über sein Gesicht huschen zu sehen.

Thor war wohl der einzige, der von den guten Absichten seines Bruders überzeugt war. Was nicht viel zu heißen hatte, wenn man sich Lokis Erfolgsbilanz in Sachen Rehabilitation ins Gedächtnis rief. "Mein Bruder mag vieles sein, aber er wäre nicht töricht genug, vor unser aller Augen ein Unheil zu versuchen."

"Stimmt", meinte Natasha trocken. Um ihre Lippen spielte eine Härte und Verbissenheit, die ihre eigene Besorgnis verriet. "Das wäre nicht seine Art. Er würde es erst tun, sobald wir ihm den Rücken gekehrt haben."

Tony stand einfach nur da und verfolgte das Schauspiel mit starrem Blick und verschränkten Armen. Er hatte die Gesichtsplatte wieder heruntergeklappt, damit er Steves Körperfunktionen besser im Auge behalten konnte. Mit etwas Glück würden die Scans auch etwas von Lokis Hokuspokus aufschnappen. Asgardische Magie – oder Magie im Allgemeinen – war verteufelt schwer mit irdischer Technik zu erfassen, aber der Energiefluss, der dabei stattfand, war durchaus messbar.

Im Moment schien allerdings nicht viel zu passieren. Eine weitere Minute tickte auf der Digitalanzeige in Tonys linkem Augenwinkel vorbei und allmählich wurde er ungeduldig. Wenn sich herausstellte, dass Loki nur mit ihnen gespielt hatte-

Es ging so schnell, dass selbst Clint und Natasha zusammenzuckten. Steves Hand schnellte vor und packte Lokis Unterkiefer mit unnachgiebiger Härte. Als sich seine Augen schlossen und wieder öffneten, waren sie pechschwarz.

"Loki Laufeyson." Steve – der andere Steve legte den Kopf schief und betrachtete interessiert sein Gegenüber. "So ist das also."

Sie starrten sich gegenseitig an, der Trickstergott und der Fremde in Steves Körper, in einer Art grotesker Umarmung eingefroren. Die schwarzen Augen des anderen schienen nach etwas zu suchen, nach einer Frage, nach einer Antwort – Tony wusste es nicht. Er wusste nur, dass der Griff um Lokis Unterkiefer nicht angenehm sein konnte. Loki ließ sich nicht beeindrucken.

"Geh. Deine Zeit ist eine andere."

Seine Fingerspitzen glühten auf, versprühten magische Energie in solchen Ausmaßen, dass Tonys Anzeigen verrückt spielten. Unwillkürlich machte er einen Schritt nach vorne, nur um gegen Thors ausgestreckten Arm zu stoßen. "Warte", sagte der Donnergott und schüttelte den Kopf. "Es ist noch nicht vollendet."

Das Glühen breitete sich um beide Körper aus, bis es sie vollständig umschlossen hatte. Ein Beben ging durch Steves Körper. Einen Herzschlag später erneut.

Dann tat der Andere etwas, das Tony nicht erwartet hatte: Er lachte.

"Dann soll es so sein." Er lachte und lachte, bis ihm die Luft ausging, bis er an etwas Unsichtbarem zu würgen schien und zu husten begann. Schmerz oder Wahnsinn ließen ihn in sich zusammenkrümmen, während seine Hand von Lokis Hals abrutschte. Das magische Glühen flimmerte, schien von Loki zu weichen und auf Steve überzugehen, wo es langsam aber sicher schwächer wurde.

Loki trat zurück und Steve kippte nach vorne.

Tony war der erste, der bei ihm war, um ihn aufzufangen. Selbst mit der Rüstung war es erschreckend, wie einfach er ihn wieder auf die Beine ziehen konnte. Tony hatte die Zahlen vor Augen, wusste, wie viel und wie schnell Steve in den letzten Wochen körperlich abgebaut hatte. Trotzdem - Tony hatte vergessen, wie furchteinflößend es war.

"Man hat wirklich nur Ärger mit dir, Cap", sagte er und war froh, dass der Stimmenmodulator die Unsicherheit aus seiner Stimme hielt. "Alles in Ordnung?"

"Ja, es- es geht. Ich brauche nur einen Moment."

Schwer atmend hielt sich Steve an Tonys Arm fest. Er war leichenblass und der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Was Tony aber wirklich Sorgen bereitete, war die Leere in seinen Augen: ein Anflug von Orientierungslosigkeit, der ihn bedrohlich auf seinen Füßen schwanken ließ. Steve murmelte etwas - vielleicht ein Fluch. Zumindest nahm Tony das an, denn er verstand die schnellen, abgehackten Worte nicht.

"Bruce, check ihn durch."

Sanft aber bestimmt übergab Tony ihn in Bruces Obhut, bevor er sich umdrehte und Loki ohne ein weiteres Wort aus der Zelle drängte. Dieser gab sich zwar nicht überrascht, aber doch erstaunt über den plötzlichen Ausbruch. Er ließ sich mehrere Schritte rückwärts drängen, bis er abwehrend die Hand erhob. Tony packte ihn am Handgelenk, bevor er irgendwelche krummen Sachen versuchen konnte.

"Tu es. Verhex mich und ich breche dir das Handgelenk." Oh, und in der Rüstung konnte er das auch. Mit Leichtigkeit. Loki war fast genauso riesig wie sein Bruder, aber im Moment waren er und Tony trotzdem gleichauf was Größe und Stärke anging.

"Ich bin lediglich erstaunt über die rohe Gewalt, die hier an den Tag gelegt wird." Lokis Augen weiteten sich pikiert, doch in seiner Stimme lag eindeutig Spott. "Man wird mir doch nicht Notwehr verweigern."

"Das kommt darauf an, wie man Gewalt definiert", zischte Tony, der genug von den cleveren Sprüchen hatte. "Wenn auch nur eines seiner Haare am falschen Platz ist, dann schwöre ich-"

"Dann was?", fuhr Loki dazwischen, kam ihm dabei so schnell so nah, dass Tony den Impuls unterdrücken musste zurückzuweichen. Der Blick grüner Augen wanderte über seine Gesichtsplatte, doch was Loki zu sehen glaubte, konnte Tony nicht sagen. "Und ich hatte immer geglaubt, Barton und Thor wären diejenigen, die am leichtesten zu Durchschauen sind. Mir scheint, das war ein Irrtum."

Er warf einen Blick über Tonys Schulter hinweg, wo sich die anderen um Steve versammelt hatten, um sicher zu gehen, dass er auch wirklich in Ordnung war. Sein Lächeln wurde lauernd.

"Obacht, Stark. Du trägst deine Schwächen so offen zur Schau, dass es ein Wunder ist, dass noch niemand einen Nutzen daraus gezogen hat. Es ist ein Wunder, dass der Captain der einzige ist, der sich dessen nicht gewahr ist."

Tony verdankte es der Schwerfälligkeit der Rüstung, dass er nicht sichtbar zusammenzuckte.
Jeder im Raum hätte es hören müssen, da war er sich sicher. Eingeschlossen Cap. Dennoch reagierte niemand auf seine Unterhaltung mit Loki, nur Clint warf ihnen einen misstrauischen Blick zu.

Dann fiel der Groschen: Loki hatte seine Lippen nicht bewegt. Eine der Anzeigen in Tonys Sichtfeld blinkte warnend und zeigte einen Energiefluss an, dort wo die Rüstung und Lokis Haut in Kontakt waren.

In meinem Kopf, dachte er und wusste nicht, ob er erleichtert oder stinksauer sein sollte. Du bist in meinem Kopf.

Lokis Augenbraue zog einen amüsierten Bogen.

"Stark, sieh dir das an!"

Es war die Atemlosigkeit in Natashas Stimme, die Tonys Herz einen Satz machen ließ. Abrupt drehte er sich um. Bruce hatte einen von Steves Verbänden hochgeschoben, um die Verbrennungen zu prüfen. Zuerst hatte Tony keine Ahnung, was der Aufstand sollte, doch als er länger hinsah, erkannte er es ebenfalls: Die Wunden heilten. Langsam, kaum wahrnehmbar für das menschliche Auge, aber sie taten es. Was um Meilen besser war, als alles, was sie in den letzten Wochen versucht hatten.

Als er sich wieder zu Loki drehte, erntete er einen Blick voller Triumph, den er knirschend über sich ergehen ließ. Tony hasste es, im Unrecht zu sein, aber dafür konnte er eine Ausnahme machen. Widerwillig ließ er von ihm ab.

Ein Gefallen, Stark, hörte er Lokis Stimme noch einmal, während sich der Lügengott unsichtbaren Staub von der Kleidung wischte. Zu meinen Bedingungen. Vergiss das nicht.

Tony klappte die Gesichtsplatte hoch und erwiderte seinen Blick mit dem eisigen Grinsen, das er sonst für hartnäckige Militärvertreter oder schmierige Firmenhaie reservierte.

Keine Panik. Ich bin vielleicht egozentrisch und sprunghaft - und wenn man Pepper glauben darf, auch wahnsinnig - aber ich halte meine Abmachungen. Solange du das gleiche tust.

Damit drehte er sich um und ging zu Steve. Was den Rest betraf: Er war sich sicher, dass Loki ihn das nicht vergessen lassen würde.

*

"Und du bist sicher, dass es dir gut geht? Keine Schwindelanfälle? Keine Gedächtnislücken? Keine Bedürfnisse, die Weltherrschaft an dich zu reißen?"

Tony wimmelte um Steve herum, der müde im Türrahmen zu seiner Suite stand und die Tirade mit einem gutmütigen Lächeln über sich ergehen ließ.

Das Tablet in Tonys Hand piepste. Der Scan brachte das gleiche Ergebnis, was bereits unzählige Tests über den Nachmittag und Abend gezeigt hatten: Steves Körper war wieder vollkommen genesen. Er sah auch sehr viel besser aus als noch am Morgen. Vor zwei Stunden hatte er die Verbände abgelegt und wo vorher rote Verbrennungen gewesen waren, war nun wieder perfekte, glatte Haut zu sehen. Sein Hunger hatte sich ebenso zu Wort gemeldet: Steve hatte Tonys Kühlschrank innerhalb weniger Stunden geplündert - nicht, dass dort viel drin gewesen war.

"Wirklich, Tony. Ich brauche einfach nur ein paar Nächte anständigen Schlaf." Ihm schien ein Gedanke zu kommen. "Apropos: Wo schläft Loki? Sollte nicht jemand auf ihn aufpassen?"

"Der ist sicher verwahrt in deiner alten Zelle. Wir hielten es alle für das Beste. Und an JARVIS kommt er nicht unbemerkt vorbei. Aber … vielleicht sollte diese Nacht jemand bei dir bleiben." Er legte den Kopf schief und grinste in bester Tony Stark-Manier, bei der ihm keine Frau widerstehen konnte. Pech nur, dass Steve keine Frau war. Oder auch nur ansatzweise interessiert an ihm.

"Träumst du nachts von ihm? Stellst du dir vor, er könnte dein entartetes Verhalten gutheißen? Oder deine krankhaften Neigungen sogar teilen?"

Die Worte schlichen sich in seine Erinnerung und auf einmal kam er sich albern vor: Wie er vor Steves Tür stand und einem Mann Avancen machte, der ihn vor einer Weile nicht einmal leiden konnte. Für all die Flirt-Versuche, die er nur gemacht hatte, um Steve in Verlegenheit zu bringen (aber weitaus ernster gemeint waren, als er jemals zugeben würde). Dass er irgendwann zwischen der Chitauri-Invasion und ihrem höchst eigenen Exorzisten-Film verdammte Gefühle für Captain America entwickelt hatte und jetzt nicht wusste, wohin damit. Ja, er kam sich ziemlich albern vor.

Zumindest bis er Steves hochgezogene Augenbraue wahrnahm, das geschwungene Halblächeln, das Leuchten in seinen Augen. "Zum Beispiel du?"

Tony schluckte. "Zum Beispiel."

"Aber der Andere will dein Herz", erwiderte Steve leise und hob die Hand. Tony entging nicht die Wortwahl (Herz, nicht Reaktor) oder die Art und Weise, wie Steves Hand kurz vor seiner Brust halt machte, dort einfach in der Luft hing. Es juckte ihn, einen Schritt nach vorne zu machen und die wenigen Zentimeter zwischen ihnen zu überbrücken, bis er gegen Steves Handfläche stoßen würde.

"Wollte", korrigierte er stattdessen und bildete sich ein, die Wärme von Steves Hand beinahe auf seiner Brust zu spüren.

"Hm?"

"Er wollte mein Herz. Vergangenheit."

"Nicht, wenn er noch da ist." Steves Lächeln hatte etwas Herausforderndes und Tony versuchte sich nicht vorzustellen, was damit gemeint sein konnte. "Vielleicht hast du Recht. Vielleicht hätte er in dem Fall bereits andere Pläne. So oder so denke ich, dass JARVIS ausreichen sollte für heute Nacht. Wenn er gut genug für Loki ist, sollte er mit mir keine Probleme haben."

Die Illusion von Wärme verschwand, als Steve seine Hand zurückzog, ihn freundlich, aber bestimmt anlächelte und sich gegen den Türrahmen lehnte.

Versteh schon.

"Alles klar, Cap." Tony grinste noch immer - oder schon wieder, schwer zu sagen. So zu tun als ob alles bestens war, lag ihm so in Fleisch und Blut, dass er manchmal selbst nicht mehr wusste, wo seine Maske aufhörte. "Dann ruh dich aus und süße Träume."

"Danke. Oh, und Tony?"

"Hm?"

"Habt ihr jemals herausgefunden, wer der andere nun wirklich war?"

Kurz spielte er mit dem Gedanken, Steve alles zu erzählen, ihm all die Theorien vorzulegen, die sie sich über die Zeit zurecht gelegt hatte. Es waren eine Menge. Auch wenn sie am Ende bei einer ganz anderen Lösung gelandet waren.

Letztendlich schüttelte Tony den Kopf. Spielte es denn einen Rolle, solange es Steve nur wieder gut ging?

Als er langsam den Gang zurück zu seiner Werkstatt trottete, fühlte er sich noch immer idiotisch (Captain America! Was hast du denn anderes erwartet?). Hinter Steves Tür erklangen gedämpft die ersten Takte eines opulenten Musikstücks und Tony schloss für einen kurzen Moment die Augen. Er stand schon fast außer Hörweite, konnte gerade noch so ein paar der Töne ausmachen, aber er kannte die Melodie. Doch so sehr er sich auch anstrengte, er kam einfach nicht auf den Titel. Schließlich gab er auf.

Vielleicht wurde es Zeit, dass auch Tony wieder ein paar Stunden Schlaf bekam.

*

Natürlich hatte Tony weitaus Besseres zu tun als zu schlafen. Also bitte.

Sobald er die Werkstatt betrat, erfüllte ihn wieder das Adrenalin von Ideen, die in seinem Kopf herumschwirrten, und er erinnerte sich an ein halbes Dutzend unfertige Projekte, die nach seiner Aufmerksamkeit verlangten. Er befahl JARVIS die Musik aufzudrehen, krempelte die Ärmel hoch und blickte sich um. Woran er sich letztlich aufhing, waren die alten Kisten seines Vaters, die Fury-Schrägstrich-SHIELD ihm vor keinem halben Jahr vor die Nase gesetzt hatten und die er bald darauf nach New York hatte transportieren lassen.

Ächzend zog Tony die größte von ihnen hervor. Auf der Oberfläche hatte sich eine leichte Staubschicht gebildet, die an mehreren Stellen von Fingerabdrücken und Ölspuren durchbrochen wurde, wo Tony sie angefasst und geöffnet hatte.

Ganz oben auf lag ein brauner Kartonumschlag, genauso wie er ihn vor einigen Wochen dort abgelegt hatte. "Cap, Misssionsreporte" hatte er die Mappe mit einem gelben Post-It markiert. Er hatte sich damals einen Hinweis daraus erhofft, etwas das sie weiterbrachte. Dann entdeckten sie die Spur der Odin-Brüder und die Mappe war in Vergessenheit geraten.

Es spielte eigentlich keine Rolle mehr, aber ... Tony schlug sie auf.

… Hydras Forschungen basieren auf der nordischen Mythologie. Während sich darüber streiten lässt, inwiefern diese Elemente tatsächlich göttlichen Ursprungs sind, sind die Erfindungen Hydras überaus fortgeschritten und tödlich. Cpt. Steve Rogers brachte ein Beispielobjekt aus seinem letzten Einsatz in Italien, das vermutlich durch den Tesserakt mit Energie gespeist wurde ...

... der Tesserakt wurde 170 Kilometer südöstlich des zuletzt bekannten Absturzortes gefunden ...

Der Andere war verschwunden. Es sollte sie nicht mehr interessieren und dennoch ... Es war zu einfach gewesen, nicht wahr? Zu reibungslos. Tony konnte reibungslos nicht ausstehen. Weil es in den meisten Fällen bedeutete, dass der Knall danach nur umso größer war.

Und was hatten Lokis Worte und das Lachen des Anderen zu bedeuten? Etwas hatten sie übersehen. Etwas Wichtiges. ("Loki Laufeyson. So ist das also.")

Tony blätterte weiter und erstarrte.

... Johann Schmidt, alias Red Skull, ist der Anführer der Nazi-Wissenschaftsdivision Hydra. Laut Aussagen unterlief er einer ähnlichen Prozedur wie bei Projekt Wiedergeburt, jedoch mit unvorhersehbaren Nebenwirkungen ...

"Rote Haut", sagte er zu dem Foto des Red Skulls, das in einer der Mappen lag. Trotz der Schwarz-Weiß-Aufnahme bekam man eine gute Ahnung von der blutroten Haut, die das schädelartige Gesicht überzog. "Rote Haut und rote Flecken."

Konnte es sein? Hektisch blätterte Tony weiter, suchte nach einer bestimmten Seite, nach einer bestimmten Information, die an seinen Erinnerungen nagte, er aber einfach nicht mehr abrufen konnte. Projekt Wiedergeburt … rote Flecken … der Tesserakt … ("Es geht darum, wieder zu Göttern aufzusteigen.") und dann: ... Zuletzt wurde der Tesserakt am nördlichen Polarkreis in Gegenwart von Cpt. Steve Rogers und Red Skull gesichtet. Red Skull wurde laut Aussage bei Berührung mit dem Würfel vollständig desintegriert, Rogers stürzte zusammen mit Tesserakt und Flugzeug ab ...

Vollständig desintegriert! Man hatte niemals eine Leiche gefunden und das aus gutem Grund: Tony war sich ziemlich sicher, dass Schmidt in den Tesserakt gezogen wurde. Wie hatte er das nur übersehen können?

//Sir!//

Tony schreckte auf und sah sich verwirrt um. Auf den ersten Blick war es schwer zu sagen, wie spät es wirklich war (Tony hatte kein natürliches Licht in seiner Werkstatt), aber er war definitiv eine Weile in seine Unterlagen vertieft gewesen. Neben ihm flackerten die Bildschirme. Die Musik war aus.

"Was ist los?"

//Sir, es scheint Probleme mit der Stromzufuhr zu geben.//

Sofort wurde Tony hellwach. "Ursache?"

//Unbekannt. Es scheint lediglich die oberen Stockwerke zu be-//

Mit einem Klacken das erschreckend endgültig klang gingen die Lichter um Tony herum aus. Normalerweise blinkte oder leuchtete immer etwas in seiner Werkstatt, mochten es Diagramme, Lämpchen, Monitore oder Strahler sein. Er säße wohl in absoluter Schwärze, wäre der bläuliche Schein seines Reaktors nicht gewesen. Zehn Sekunden später setzte die Notstromversorgung ein.

"JARVIS?"

//Verzeihung. Es scheint, unsere Systeme wurden kompromittiert.//

Tonys Nackenhaare stellten sich auf. Die Systeme des Towers, ganz zu Schweigen von JARVIS' Servern, standen unter höchster Sicherheitsstufe. Selbst SHIELD hätte Probleme, sich einfach so einzuschleichen. "Ein Hacking-Angriff?"

//Negativ. Die Beeinflussung scheint durch nicht-menschliche Mittel stattgefunden zu haben. Alle Parameter deuten darauf hin, dass Magie im Spiel war.//

Scheiße. "Scanne das Gebäude nach Lokis Aufenthaltsort!"

Während JARVIS' Systeme liefen, war Tony aufgesprungen und eilte in Richtung Werkbank, wo er die Armbänder zu seiner Rüstung heute Mittag hingeworfen hatte. Er hatte gerade beide Reifen angelegt, als JARVIS sich erneut meldete.

//Negativ, Sir. Der Gefangene ist verschwunden.//

TBC

Date: 2012-12-28 09:57 pm (UTC)
From: [identity profile] cricri-72.livejournal.com
"Okay", raunte er heiser und legte seine rechte Hand ebenfalls gegen die Scheibe. Ein Handschlag ohne Berührung. Und scheiße, wenn das nicht irgendeine ironische Symbolik mit sich trug, wollte Tony seinen Lieblingsmustang verscherbeln.
Allerdings! (Wo ist ein K/S Icon, wenn ich eins brauche ...) Aber ich mache nur dumme Witze, weil Du mich in Wirklichkeit fast zum Weinen gebracht hast. Und außerdem habe ich keine Zeit mehr zu kommentieren, weil ich schnell weiterlesen muß ...

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